Eine Frage der Größe
Es war der Start eines Wettstreit, der weiterhin läuft. Trotz wachsender Kritik am Energieverbrauch der Kreuzfahrtschiffe wird seit der Titanic etwa alle 4, 5 Jahre ein neuer weltgrößter Dampfer vorgestellt. Auf die 2022 gelaunchte Wonder of the Seas folgte sogar gleich im Folgejahr der nächste Gigant. Die Icon of the Seas absolvierte im Jänner ihre Jungfernfahrt und hat nun auf 20 Decks Platz für 7.000 Personen.
1909 war Ismays Plan von zehn Decks und rund 2.000 Passagieren selbst für die Größten zu wuchtig. Obwohl Belfast mit Harland & Wolff, Europas größte Werft führte, mussten dort die drei Bauplätze in zwei größere umgewandelt, ein neuer 200 Tonnen schwere Schwimmkran errichtet und die Mitarbeiterzahl von 6.000 auf 15.000 aufgestockt werden. Erst dann konnten am 31. März die Platten für den Kiel der Titanic gelegt werden.
Im Belfaster Stadtbild verankert
Wer heute durch Belfast geht, wird regelmäßig daran erinnert. „Das sind Samson und Goliath“, sagt Belfast-Tourguide James Ellison und zeigt auf die zwei großen, gelben Kräne, die wie riesenhafte Krakenarme über den Dächern der Stadt in den Himmel stechen. Er lächelt. „Heute stehen sie ja ganz nahe zusammen“, sagt er, als würde es sich um zwei vertraute Lebewesen und keine Maschinen handeln. Allerdings haben die Baukräne das Stadtbild über Jahrzehnte geprägt.
800 Meter von den Kränen entfernt, strebt die bronzene Figur der Titanica in die Höhe und um sie Besucher ins Museums. Vorbei geht es an Erläuterungen von den Anfängen der Werft, als der Engländer Edward Harland als Direktor und der Deutsche Gustav Wolff als sein Assistenz eingestellt wurden. Vorbei an Details zu den 1.700 Schiffen, die sie errichten ließen. Ein Foto zeigt die riesige Halle, in der die Architekten monatelang an den komplexen Plänen für das neue Luxusschiff saßen.
Schwimmend im Luxus
Denn die Titanic, war zu dem Zeitpunkt klar, sollte nicht nur größer und schneller sein, sondern auch luxuriöser. Gediegene Suiten mit Eichenholzvertäfelung, kristallene Luster und Waschbecken aus Marmor – wie es die edelsten Hotels Europas führten. Schwere Vorhänge würden die Zugluft mildern und falsche Kamine für warmes Ambiente sorgen. Die Deluxe Suites kamen im Stil von Ludwig XIV., der Jakobinischen Ära oder der italienischen Renaissance. Die Elite sollte im besten Fall vergessen, dass sie sich auf See befand. Das hatte seinen Preis. 870 Pfund mussten die Passagiere erster Klasse für ein Ticket berappen. Inflationsangepasst und umgerechnete wären das heute rund 125.000 Euro.
In den Schatten gestellt
Freilich mit heutigen Standards kann die Titanic nicht mithalten. Die Icon of the Sea ist länger als der Pariser Eiffelturm und so riesig, dass der Reporter der Times – so schildert er es in seinem Reisebericht – täglich auf 18.000 Schritte kam, nur um sich zwischen den 40 Speisemöglichkeiten zu bewegen. Sie verfügt zudem über sieben Schwimmbäder, sechs Wasserrutschen und – laut Angaben von Betreiber Royal Carribean – dem größten Wasserpark eines Kreuzfahrtschiffs.
Doch für die damalige Zeit waren Ismays Pläne unerhört: Squash-Courts, ein Fitnessraum, ein Friseursalon und das erste Schwimmbad an Bord eines Schiffes.
„So perfekt wie ein Gehirn ihn machen kann“, beschrieb sie Konstrukteur Thomas Andrews am 14. April 1912 noch einem Freund. Besonders stolz war er auf die 16 wasserdichten Abteilungen mit Türen davor, die von der Brücke aus geschlossen werden konnten, um die Abteilungen bei Bedarf abzudichten. Praktisch unsinkbar.
Als die Titanic wenige Stunden später sank, soll Andrews die Liegestühle vom Deck ins Meer geschmissen haben, damit sich Passagiere mit ihnen über Wasser halten könnten. Seine Leiche wurde nie gefunden.
Aus Scham wird Stolz
Als die Nachricht der Katastrophe durchsickerte, legte sich ein Mantel des Schweigens und der Scham über die Werft und die nordirische Hauptstadt. Erst Jahrzehnte später, mit dem Bergen des Wracks und dem Film von James Cameron, wandelte sich die Legende der Schande langsam in Stolz.
Heute erinnert sich Belfast wieder gern an die Titanic. Das 2012 eröffnete Titanic Museum wurde zum Touristenmagnet und ist für 42 Prozent der Besucher in Belfast verantwortlich.
Ein Aspekt hat sich seit der Titanic übrigens nicht mehr verändert. Auch die neuen Giganten sind weiterhin mit maximal 22 Knoten unterwegs.
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