"Zurschaustellung und Demütigung bis zum Exzess"
950 Hiebe sind eigentlich noch "offen". Doch nach heftigem internationalen Protest haben die saudi-arabischen Behörden nach dem ersten Mal Freitag für Freitag die drakonische Strafe ausgesetzt. In Haft ist der kritische Blogger Raif Badawi freilich noch immer, zehn Jahre hat er ausgefasst. In seinem jetzt erschienenen Buch "1000 Peitschenhiebe" beschreibt er im Vorwort die Umstände hinter Gittern: Er sei mit 30 anderen in einer 20 Quadratmeter großen Zelle untergebracht, darunter Mörder und Kinderschänder. Diktiert hat er die Zeilen via Handy seiner Frau, die mit den drei Kindern im kanadischen Exil lebt.
Badawi ist die Symbolfigur der Unterdrückung im Königreich am Golf. Doch daneben gibt es unzählige Namenlose, die in Gefängnissen schmachten, vor Zuschauern ausgepeitscht, manche sogar hingerichtet werden – Praktiken, die ganz selbstverständlich fortgeführt werden.
Mehr Hinrichtungen
"Die öffentliche Zurschaustellung und Demütigung ist menschenrechtswidrig und erniedrigend. Genau das wird in Saudi-Arabien aber insbesondere nach dem Freitagsgebet bis zum Exzess betrieben", kritisiert Heinz Patzelt von Amnesty International Österreich (AI) im KURIER-Gespräch. Penibel listet die Organisation die Vergehen der rigiden Monarchie auf: Verbot politischer Parteien, Gewerkschaften und unabhängiger Menschenrechtsgruppen; Inhaftierungen über eine lange Zeitspanne ohne Anklage oder Prozess; Folter; drastische Zunahme von Hinrichtungen – mindestens 45 heuer, im gesamten Vorjahr waren es rund 90."In dem Land gibt es kein funktionierendes rechtsstaatliches System, keine unabhängigen Richter, auch der Zugang zu Anwälten ist nicht selbstverständlich. Wer sich für Menschenrechte einsetzt und Menschenrechtler verteidigt, steht selbst unter Beschuss", betont Patzelt. So wurde auch Badawis Advokat zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Besonders scharf schießt sich AI auf das neue Anti-Terror-Gesetz ein. Mit diesem würden die Befugnisse der Behörden massiv ausgeweitet, gleichsam ein Freibrief für den Sicherheitsapparat. Zumal die Definition für Terror überaus weit gefasst sei. Allein der Kontakt mit "oppositionellen Gruppen oder Individuen" bzw. "der Aufruf zu atheistischen Gedanken" fielen unter diese Kategorie.
Gleichsam der Dauerbrenner unter den Menschenrechtsverletzungen ist die Diskriminierung von Frauen und die häusliche Gewalt, die kaum geahndet wird. Besonders bizarr: Das Autofahrverbot für Frauen. Weil sie sich dem widersetzten, wurden zwei Lenkerinnen Ende 2014 verhaftet. Ihnen werden auch "Vergehen gegen die Nationale Sicherheit" vorgeworfen.
Auch Badawis Schwester Saman, die sich für Frauenrechte einsetzt, landete deswegen schon einmal im Kerker. Ans Aufgeben denkt sie aber nicht: "Es ist Zeit, die Meinungsfreiheit zu verteidigen."
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