Sanae Takaichi: Japans "Eiserne Lady" übernimmt das Land

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Erstmals regiert eine Frau das konservative Japan. Doch die neue Premierministerin lehnt klassisch-feministische Politik ab. Sie könnte die rechteste Regierung seit Jahren prägen.

Da stand sie nun, im blauen Blazer, mit typisch eiserner Miene, inmitten ihrer applaudierenden, männlichen Kollegen. Sanae Takaichi, Japans erste Premierministerin. Ein Bild für die Geschichtsbücher. 

Wenn die vergangenen Tage ein Vorgeschmack auf das waren, was noch kommen wird, steht der 64-Jährigen eine turbulente Amtszeit bevor. In nur zwei Wochen hat sie auf ihrem Weg an die Spitze Höhen und Tiefen durchlebt, sich neue Freunde und Feinde gemacht.

Anfang Oktober schaffte Takaichi das vermeintlich Unmögliche und gewann als erste Frau die Wahl zum Vorsitz der Liberaldemokratischen Partei (LDP). Die krisengebeutelte, konservative LDP regiert Japan seit 70 Jahren fast durchgängig, Takaichis Aufstieg zur ersten Premierministerin Japans galt somit als Formsache.

Doch weil sie eben ist, wer sie ist, kündigte die Kleinpartei Kōmeitō die Koalition auf. Sie hatte seit 26 Jahren bestanden. Erst am Wochenende fand Takaichi in der Rechtspartei Ishin einen neuen Bündnispartner – und sicherte sich die Macht.

Motorrad und Heavy Metal

Takaichi war schon immer eine, die polarisiert. In ihrer Jugend fuhr sie Motorrad, war Schlagzeugerin in einer Heavy-Metal-Band, bis heute hört sie Black Sabbath und Iron Maiden.

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Sanae Takaichi.

Wenn Takaichi über ihre Eltern spricht, geht es um Arbeit, Leistung, Materielles. Die Mutter, eine Polizistin und der Vater, ein „Salaryman“, wie Büroangestellte in Japan genannt werden, waren selten zu Hause, sagt sie. „Aber wir hatten die neuesten Geräte: Farbfernseher, Stereoanlagen, Mikrowellen.“ 

Das färbte ab. Bis zu sechs Stunden pendelte die Tochter täglich, um Wirtschaft an der Universität Kōbe studieren zu können. Später sicherte sie sich einen Platz in der Führungskräfte-Kaderschmiede des Panasonic-Konzerns. Nach einem Zwischenstopp als Fernsehmoderatorin trat sie der LDP bei und zog 1993 für ihre Heimatpräfektur Nara ins Unterhaus ein.

Vorbild Margaret Thatcher

Politisiert hatte Takaichi die „Stärke“ der langjährigen britische Premierministerin Margaret Thatcher, wie sie sagt: „Sie sprach ohne jede Angst, wenn sie davon überzeugt war, ihrem Land damit helfen zu können.“

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Takaichi mit ihren Premierminister-Vorgängern Fumio Kishida (2021-2024) und Shigeru Ishiba (2024-2025, von links).

Die beiden Frauen verbindet der absolute Leistungsgedanke, der Wunsch nach möglichst niedrigen Steuern und einem möglichst kleinen Sozialstaat. Anders als Thatcher fordert Takaichi jedoch einen aktiven Staat, der sofort eingreift, wenn die Wirtschaft schwächelt – selbst, wenn dadurch die hohe Verschuldung Japans zunehmen sollte.

„Krebsgeschwür“

Diese Haltung hat Takaichi von ihrem politischen Ziehvater, dem langjährigen Premier Shinzo Abe, mitbekommen. Ebenso wie ein äußerst krudes Geschichtsbild: Takaichi gehört zu jenen Mitgliedern des rechten LDP-Flügels, die regelmäßig zum berüchtigten Yasukuni-Schrein in Tokio pilgern, um Japans gefallenen Soldaten im Zweiten Weltkrieg zu gedenken.

Japan geschichtliche Verantwortung spielt sie bis heute herunter. Noch 2004 behauptete Takaichi, es sei „klar, dass das ein Selbstverteidigungskrieg war“. Der spätere Premierminister Fumio Kishida bezeichnete sie damals als „Krebsgeschwür“ der Partei.

Außenpolitisch macht sich die neue Premierministerin damit keine Freunde. Taiwan, das damals unter japanischer Kolonialherrschaft stand, besuchte Takaichi erst im Sommer, um die Wogen zu glätten. In Südkorea, wo japanische Soldaten einst den Kaiserpalast abbrannten, kam es bereits zu Straßenprotesten.

Japans Verfassung

Einzig mit China, wo die japanische Armee sechs Millionen Menschen ermordete, wäre Takaichi wohl ohnehin an keinem guten Verhältnis interessiert. Schon als Innenministerin hatte sie gefordert, dass Japan seine pazifistische Verfassung ändern und aufrüsten müsse, um Pekings Großmachtgebaren nicht ausgeliefert zu sein.

Im Wettstreit der Weltmächte wird Takaichi Japan weiter fest an der Seite der USA platzieren. Sie kennt und schätzt die Vereinigten Staaten, verbrachte zwischenzeitlich selbst vier Jahre als parlamentarische Mitarbeiterin einer demokratischen Kongressabgeordneten in Washington. In einer Woche könnte sich diese Erfahrung lohnen: Am 27. Oktober kommt US-Präsident Donald Trump nach Tokio.

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