Sahara-Reportage: "Die Wüste hält mich gefangen"

Eva Gretzmacher kam vor mehr als zwei Jahrzehnten nach Agadez.
Seit 22 Jahren ist die gebürtige Wienerin Eva Gretzmacher aus der Sahara-Stadt Agadez nicht wegzudenken.

Egal, ob beim Empfang des Sultans anlässlich des muslimischen Neujahrsfestes oder beim Einkaufen auf dem Markt – überall in der nigrischen Stadt Agadez wird Eva Gretzmacher mit höchstem Respekt und größter Herzlichkeit begrüßt. Mit Vornamen angesprochen, obwohl auf Französisch nicht so üblich, wird die Konversation in Duform geführt. Eva ist einfach aus dem Leben der geschichtsträchtigen Stadt am Rande der Sahara nicht mehr wegzudenken. Die 67-jährige Wienerin ist eine von vier Europäern, die im Norden Nigers in Agadez ständig leben: "Die Wüste hält mich gefangen", sagt die Österreicherin gerne.

Ihre unsterbliche Liebe zu diesen faszinierenden Landschaften begann 1983. Konkret in Algerien. Dort arbeitete ihr Mann, ein Bauingenieur, sieben Jahre lang an einem großen Eisenbahnprojekt, während sie die drei Kinder großzog. Die studierte Pädagogin durfte in Algerien nicht arbeiten, so begann sie, für Freunde und Bekannte Reisen in Algeriens Sahara zu organisieren. "Es ist ein wunderschönes Land mit besonders netten Menschen", zeigt sie sich noch Jahrzehnte später begeistert. Sie begleitete auch Naturforscher, etwa bei der Suche nach Heilkräutern.

Dosen für Österreicher "1990 wurde Algerien politisch brenzlig. Wir mussten weg", erzählt Eva, während sie Ingwer-Zitronenlimonade mit Wasser aus der Wasserleitung in ihrem Wohnzimmer serviert – wie im Land üblich auf einem Tischtuch, das auf dem Boden ausgebreitet liegt. "Für jene, die Bedenken wegen des Wassers haben, habe ich auch Dosengetränke gekauft", merkt sie mit etwas Ironie in Richtung der Gäste aus Österreich an. "Ich trinke das hiesige Wasser, schlucke keine Malaria-Prophylaxe, nur Vitamin C. Nach jahrzehntelangem Leben in Afrika geht es nicht anders."

Nach Algerien folgten Jahre intensiver Reisen durch Westafrika, "mit Öffis und per Anhalter, da wir wenig Geld hatten". Ihre Reiseschilderungen klingen so selbstverständlich, wie wenn unsereiner über Ausflüge ins Waldviertel berichtet.

1995 hat es sie allein nach Agadez verschlagen, wo ihr "ein 600 Quadratmeter großes Eckgrundstück in mittelmäßiger Lage" angeboten wurde. Sie griff zu und baute ein Haus, das sich von denen der Nachbarn nur dadurch unterscheidet, dass ihre Lehmmauern (aus Lehm, Ziegenmist und Stroh) in Schuss sind – und es hängen auch keine angewehten Plastiksackerl herum. "Eine Sisyphusarbeit, nicht nur der Müll, sondern auch die Fassade, die nach jedem Regen neu verputzt werden muss", seufzt Eva.

Sahara-Reportage: "Die Wüste hält mich gefangen"
Patsch Reportage_Jana Patsch/Toja Haberleitner

Wie die Einheimischen schläft auch Eva im Hof im Freien, neben ihrer kleinen Ziegenherde. Für die kältere Jahreszeit hat sie aber eine Tuchent aus Österreich. "Früher habe ich auch Ziegenkäse gemacht für die Gastronomie", sagt sie. Da kamen noch viele Touristen in die Stadt, die UNESCO-Weltkulturerbe ist. Die Air France flog direkt von Agadez nach Paris.

Nach dem Tuareg-Aufstand vor zehn Jahren versiegte der Tourismus. Die Wienerin suchte sich eine neue Aufgabe, gründete ihren Verein "amanay" ("Vorwärts") und baute 2010 ein Kompetenzzentrum. "Das Wort Entwicklungshilfe meide ich, da wird mit viel Geld wenig Effizienz betrieben", sagt sie. In dem Haus mit überdachtem Innenhof betreibt sie Projekte im Bereich Bildung, Gesundheit, Frauenförderung, Ökologie, Kultur und Kunst. "Je nach Bedarf und Mitteln."

Sahara-Reportage: "Die Wüste hält mich gefangen"
Patsch Reportage

Agadez, eine 120.000 Einwohner zählende Stadt, hat weder ein Kino noch ein Theater. Eva Gretzmacher organisiert Freizeitprogramme für Jugendliche in Zusammenarbeit mit den lokalen Schulen, beamt Kinofilme auf eine Hausmauer, bietet Computer- oder Sprachkurse, Konzerte und Disco-Abende. Viel für die zierliche Frau, die alles im Alleingang mit sporadischer Hilfe aus Österreich bewältigt. Wie selbstverständlich zieht sie auch noch einen Waisenbuben auf.

58 in einer Klasse

"Mir ist aufgefallen dass hier nur männliche Schneider ihre Dienste angeboten haben. So habe ich Nähmaschinen aus Österreich organisiert, mein Sohn Christoph hat sie mit einem Lkw aus Wien herangekarrt, genauso wie Equipment für ein Tonstudio und Musikinstrumente für eine Band", erzählt die agile Frau.

Seit drei Jahren sind dank der Nähmaschinen zehn Frauen finanziell unabhängig. Eva ist eine ihrer Kundinnen, sie hat ihren eigenen Stil, trägt stets zu ihren Kleidern passende Stirnbänder. "Hier trägt jeder etwas auf dem Kopf wegen der Sonne und dem Staub."

"Das, was sie jetzt riechen, ist nicht mein Klo, meine Hausbesorgerfamilie kocht ihr Abendessen", erklärt Eva die Ursachen für eine übel riechende Duftwolke, die ins Haus dringt. "Es schmeckt nicht schlecht, aber an den Geruch kann ich mich einfach nicht gewöhnen."

Zur Änderung seiner Speisekarte kann Eva aber Hausmeister Abdoulaye genauso wenig überreden wie dazu, seine fünf Kinder in die Schule zu schicken. Im landesweitem Schnitt sind 74 Prozent der Männer und 89 Prozent der Frauen Analphabeten. In öffentlichen Schulen sitzen 58 Kinder in einer Klasse.

Die schlechte Schulbildung und Wirtschaftslage sowie die grassierende Armut begünstigen die schleichende Islamisierung im Niger. "An und für sich sind die hier lebenden Tuareg sehr tolerante Muslime. Ihre Frauen tragen statt ihrer Tracht heute immer öfter einen Schleier – aber nicht aus religiösen Gründen", beobachtet Eva: "Diese bunten Fetzen werden aus China importiert und kosten umgerechnet drei Euro – die kann sich jeder leisten." Die größte Moschee der Stadt wurde noch von Libyens Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi gesponsert. Eine weitere samt Koranschule von Geldgebern aus Katar.

Im kommenden Sommer plant Eva Gretzmacher einen Aufenthalt in Österreich: Ihre Familie besuchen und sich nach Hilfe umschauen.

www.agadez.info

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