Petra Köpping: „Das ist ein gefährliches Spiel“
Sie hilft Geflüchteten, hört Wütenden wie Wendeverlierern zu. Petra Köpping, die erste sächsische Ministerin für Integration und Gleichstellung, weiß viel von den Krisen und Umbrüche, die Menschen erlebt haben.Das will sie auch als mögliche SPD-Vorsitzende einbringen - gemeinsam mit Boris Pistorius, Niedersachens Innenminister, kandidiert sie für die Parteispitze.
Zu den Ost-West-Problemen gehört die geringe Zahl an Ostdeutschen in Wirtschaft und Politik. Die Menschen fühlen sich nicht vertreten, hört man. Sie bewerben sich für den SPD-Vorsitz. Wie wollen Sie das verändern?
Ich kann als ostdeutsche Politikerin, die die DDR und Wiedervereinigung erlebt hat, viel einbringen. Wenn es um den Strukturwandel geht, die Umbrüche durch Digitalisierung und Globalisierung, dann haben wir hier im Osten einfach Erfahrungen, wie derlei tiefgreifende Veränderungen auf die Menschen wirken – im Guten wie im Schlechten. Doch Ostdeutschland hat noch mehr einzubringen.
Haben Sie ein Beispiel?
Im Osten haben bis zu 97 Prozent der Frauen gearbeitet. Heute sind es auch in Westdeutschland mehr, dazu brauchte es Kindertagesstätten. Dazu gibt es nun einen Rechtsanspruch. Das ist klassisch aus dem Osten. Es gibt aber auch Defizite.
Welche?
Wir haben geringere Löhne und Gehälter als im Westen. Da möchte ich eine starke Stimme für den Osten sein. Es soll nicht heißen, die Politik der SPD werde nur aus dem Westen bestimmt.
Erklärt das, warum so viele in Sachsen AfD wählen und nicht Ihre Partei?
Es gibt viele Gründe, warum die AfD Zulauf bekam. Einer ist sicher das Jahr 2015. Weder Politik noch Bürger waren auf die Anzahl der Geflüchteten vorbereitet. Im Osten kannte man das in der Größenordnung überhaupt nicht. In Westdeutschland hatte man Erfahrungen mit Menschen, die als Arbeitsmigranten kamen, wo aber gleichzeitig aktive Integration eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat.
Aber warum ist sie explizit im Osten so stark? Laut Prognosen könnte sie bei den Wahlen nächste Woche stärkste Kraft werden.
Nach 1990 wurde ein Turbokapitalismus angewendet. Es ging nicht um soziale Probleme, sondern um die Umwandlung der Wirtschaft. Die Ausbildung der Menschen war plötzlich nichts mehr wert. Sie haben oftmals unter ihren Qualifikationen gearbeitet und wenig verdient. Wenn sie heute ihre Rentenbescheide bekommen, steht da etwa 500 Euro drauf. Das macht sie wütend, weil sie sich als Aufbaugeneration sehen, die geblieben ist.
Die Menschen, die AfD wählen, sind also die Abgehängten und Enttäuschten?
Es gibt jene, die inhaltlich mittragen was die AfD will, und jene, die enttäuscht sind. Die sagen uns an den Wahlständen: Ihr hattet lange Zeit, ihr hättet das ändern können, jetzt zeigen wir es euch. Ein Teil davon kommt aus unserer Partei, der CDU und der Linken. Wir müssen uns um diese Menschen kümmern.
Wie gehen Sie mit „normalen Bürgern“ um, die mit Neonazis in Chemnitz marschiert sind? Kann man die Teilnahme an fremdenfeindlichen Demos damit rechtfertigen, schlechte Erfahrungen gemacht zu haben?
Das ist nicht zu entschuldigen. Chemnitz war aber der Beweis dafür, dass wir für Menschen, die unzufrieden sind und dies ausdrücken wollen, Räume schaffen müssen. Das haben wir zwei Tage später mit den Sachsengesprächen gemacht, die haben wir seit zwei Jahren. Dabei ist das ganze Kabinett in Sachsen unterwegs und steht den Bürgerinnen und Bürgern an einzelnen Thementischen für Fragen direkt zur Verfügung. Das andere ist die Berichterstattung. Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus, aber pauschal zu sagen: „die Sachsen“, ist gefährlich. Die vielen Menschen, die sich für Demokratie und Integration einsetzen, fühlen sich in ihrer Arbeit nicht bestätigt. Die Anderen wiederum solidarisieren sich und sagen, okay, ich bin eben ein Nazi.
Bemühungen und Gespräche scheinen sich nicht in den aktuellen Umfragen der Sachsen-SPD niederzuschlagen, sie liegt unter zehn Prozent. Enttäuscht Sie das?
Es ist verletzend, wenn es solche Ergebnisse gibt, obwohl man glaubt, dass man eine gute Arbeit macht. Das wird uns auch von einer ganzen Reihe an Menschen bestätigt. Aber, wenn man viele Jahre von Politik enttäuscht war, lässt sich das nicht in so kurzer Zeit reparieren.
Vertrauensarbeit werden Sie auch als mögliche SPD-Vorsitzende leisten müssen. Die Partei liegt bei 12 Prozent und da wäre noch der mögliche Ausstieg aus der Großen Koalition, den einige Ihrer Mitbewerber fordern. Kann das die Partei retten?
Mein Tandempartner Boris Pistorius und ich sind uns einig: Wir müssen Bilanz ziehen und schauen, was noch zu machen ist. Für mich sind wichtig: Die Grundrente und das Klimaschutzgesetz, es muss sozial sein. Wenn es nicht kommt, wird das noch mehr Menschen enttäuschen, das Thema des Strukturwandels ist dann gestoppt.
Sie sind also gegen den Ausstieg.
Man sollte das nicht ad hoc entscheiden. Wir werden diskutieren müssen, ob es dafürsteht, wichtige Vorhaben nicht mehr durchzuführen und Neuwahlen zu riskieren. Da wage ich nicht als Kandidierende zu sagen, wir gehen raus aus der GroKo, weil es im Moment ein Stück weit populär ist.
Neben der Positionierung zur Koalition ist die SPD auch auf Profilsuche. Sind Sie für einen Kurswechsel z.B. a la Dänemark, wie es etwa ihr Ex-Vorsitzender Gabriel fordert?
Ich bin keine Anhängerin des dänischen Modells. Wir haben in Deutschland eine klare Asylpolitik und eine Menge Möglichkeiten im Rahmen des Asylrechtes den Menschen zu helfen, sie aber auch schnell zurückzuführen, wenn sie kein Asylrecht bekommen. Dass dieser Balanceakt möglich ist, sieht man gut an der Arbeit meines Kollegen Boris Pistorius.
Auf europäischer Ebene ringt man in puncto Asylpolitik nach wie vor um Lösungen.
Ich bin für ein Anreizsystem für Kommunen als für Verteilungsquoten, wie wir sie jetzt diskutieren. Da hat Gesine Schwan einen guten Vorschlag gebracht: Städte und Gemeinde sollen selbst entscheiden. Für Asylsuchende gibt es Hundert Prozent aller Integrationskosten. Die Stadt erhält zusätzlich Hundert Prozent für die Gesamtbevölkerung.
„Integriert doch erst mal uns“, so lautet der Titel Ihres Buches – der Satz fiel bei einer Demonstration: Sind die Sachsen zu Ihrem Integrationsprojekt geworden?
Der Satz stammt von einer Gruppe, die glaubt, benachteilig zu werden, weil andere, die Hilfe brauchen, bevorzugt werden. Das ist ein gefährliches Spiel. Alle Menschen, die Hilfe und Unterstützung brauchen, müssen das Gefühl haben, dass man sich gleichermaßen um sie kümmert. Egal, ob hier geboren oder zugewandert.
Die Menschen waren es gewohnt, dass der Staat funktioniert und sich um alles kümmert – ist das eine spezielle DDR-Erfahrung?
Absolut. Am liebsten war es dem Staat, wenn sie nichts gesagt haben. Von der Wiege bis zur Bahre wurde alles geregelt. Wer damit einverstanden war, konnte gut leben, andere aber nicht. Was wir immer noch merken: Die Menschen glauben, der Staat ist für alles Mögliche verantwortlich. Der Sachsen-Monitor zeigt, dass viele mit der Staatsform zufrieden sind. Bei der Gestaltung der Demokratie fallen wir aber weit zurück. Ein Indiz, dass die Menschen stark auf den Staat schauen, ohne sich einbringen zu wollen.
Geboren 1958, Bürgermeisterin von Großpösna, die im Juni 1989 aus der SED austrat; ihr Jura-Studium wurde zunächst nicht anerkannt. Die Mutter von drei Kindern arbeitete als Vertreterin einer Versicherung, ehe sie erneut in die Politik ging: Zuerst wieder als Bürgermeisterin, dann als Landrätin und und Abgeordnete. Seit 2014 ist sie Sachsens erste Staatsministerin für Gleichstellung und Integration. Zu ihren ersten Amtshandlungen gehörte der Besuch von Pegida-Demonstrationen. „Integriert doch erst mal uns“, raunte man ihr bei solchen Kundgebungen zu. So heißt auch ihr Buch, das von vielen Begegnungen und Gesprächen mit Bürgern handelt und aus dem sie öffentlich liest – derzeit unter Personenschutz, weil sie mit Mord bedroht wurde.
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