Wenn zum Hamstern das Geld fehlt
Offenbar hatte der italienische Pralinen-Hersteller sich vom russischen Staatsfernsehen einen Jahresvertrag aufschwatzen lassen: Das Produkt, das der feurige Romane noch immer unverdrossen mit Belcanto bewirbt, gibt es in Moskau schon seit August nicht mehr.
Westliche Sanktionen wegen Russlands Ukraine-Politik konterte Kremlchef Wladimir Putin mit einem Einfuhrstopp für europäische Lebensmittel. Vom kollektiven Verzicht auf Raffaello, Äpfel und Roquefort würden die einheimische Agrarindustrie und Freunde Russlands profitieren. Argentinien etwa, dessen Präsidentin dem Westen doppelbödige Moral vorwarf und dafür sorgen will, dass die Supermarktregale zwischen Kaliningrad und Kamtschatka nicht leer bleiben.
Äpfel aus Armenien
Bevor sie auf die Frage nach Hamsterkäufen antwortet, wirft Kassiererin Galina einen schnellen Blick zu Kasse sechs, wo die Schichtleiterin sitzt: offenbar außer Hörweite. Ja, sagt sie, die gäbe es schon, aber das seien Ausnahmen. Dann, halblaut beim Bücken nach der Limonadenflasche: "Manche würden sich gern eindecken. Aber wie, wenn das Geld gerade bis Monatsende reicht".
Selbst das, wo "Made in Russia" draufsteht, kostet inzwischen 30 bis 50 Prozent mehr. Zwar versucht das Kartellamt zu verharmlosen: Die Preissteigerungen hätten mit der vorübergehend relativ hohen Inflation zu tun. Das beruhigt wenig. Denn tief haben sich Hyperinflation mit 5000 Zählern pro Monat in den Neunzigern, die Entwertung der Sparguthaben in der Götterdämmerung der Perestroika 1991 und der Bankencrash 1998 ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.
Sie ist daher wieder da: Die Angst vor dem Morgen. Als Erstes strichen die Russen Konzert- und Theater-, dann den allmonatlichen Restaurantbesuch. Auch im Urlaub wollen viele zu Hause bleiben. Gespart wird auch beim Kauf von Gewand und von Lebensmitteln.
Denn der Ölpreis fällt und fällt und reißt den Rubel mit. Für beides machen Putin und seine Währungshüter den Westen verantwortlich. Spekulanten würden gegen Russland wetten, klagte Notenbankchefin Elvira Nabiullina, als sie Montag die Wechselkurse freigab. "Fundamentale Gründe" für den Kursrutsch gebe es nicht. Russland habe einen ausgeglichene Haushalt und hohe Gold- und Devisenreserven. Diese zur Stützung des Rubels "zu verbrennen", wäre töricht.
Die Kursfreigabe, fürchtet Alexander Chandrujew, der Russlands Zentralbank als Vizechef lange selbst durch raue See steuerte, werde nur vorübergehende Wirkung haben. Die "Maßnahme", so auch Finanzminister Anton Siluanow, sei zwar richtig, komme jedoch zu spät. Sein Amtsvorgänger Alexej Kudrin, Querdenker und dennoch mit Putin befreundet, warnte sogar, die Talsohle sei noch nicht erreicht.
Der Haushalt, der sich zu knapp der Hälfte aus Erlösen für Energieexporte finanziert, basiere auf Ölpreisen von 95 US-Dollar pro Barrel. Diese hätten jedoch in den letzten Monaten um 30 Prozent nachgegeben und könnten 2015 unter die magische Grenze von 50 Greenbacks pro Fass rutschen. Jetzt, so Kudrin, räche sich, dass Russland seine marktwirtschaftlichen Hausaufgaben – weg von Rohstoffexporten, hin zu einer verarbeitenden Industrie – nicht gemacht habe.
Die Russen müssten sich auf schwere Zeiten gefasst machen, warnte sogar Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew. Die Realeinkommen würden drastisch sinken, die Arbeitslosigkeit wegen der Stagnation – für 2014 wird mit einem Wachstum von maximal 0,5 Prozent, für 2015 bestenfalls mit einer Null gerechnet – würden dagegen kräftig zulegen.
Kredit-Zeitbombe
Putin punktete bisher vor allem mit relativer sozialer Sicherheit. Die indes sehen Experten nicht nur durch die schwindende Kaufkraft gefährdet. Tickende Zeitbombe des Systems sind die Hypotheken-Kredite, die Millionen Russen in den Nullerjahren in Dollar aufnahmen, als dessen Kurs zum Rubel ständig fiel und Russlands Wirtschaft brummte. Weil der Rubel allein im laufenden Jahr rund 30 Prozent an Wert verlor, verteuert sich jetzt auch der Schuldendienst um knapp ein Drittel. Die Bereitschaft zu Protesten, warnen kritische Meinungsforscher, sei daher gestiegen.
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