"Zehn Hinweise darauf, dass du im Krieg lebst"

"Zehn Hinweise darauf, dass du im Krieg lebst": So mancher Bericht in russischen Medien klingt wie Hohn für jene, die unter dem Krieg leiden.
Propaganda jenseits der Gürtellinie: Wie russische Medien den Krieg in der Ukraine inszenieren.

Listicles nennt man sie - jene Artikel, mit denen Plattformen wie Buzzfeed oder Heftig ihre Klickraten nach oben treiben: „Zehn Dinge, die Du nur betrunken tun würdest“ oder „17 Dinge, die Dir zeigen, dass Du über 30 bist“ sind beliebte Vertreter dieses Genres.

Russische Medien sind auf diesen Trend schon länger aufgesprungen – wie überall sonst auf der Welt unterhält man die Leserschaft mit Geschichten, die solcherart erzählt werden. Das dem Kreml mehr als nahestehende Mediennetzwerk Russia Today, das für Moskau als Sprachrohr über die Grenzen hinaus agiert, hat diese Form nun aber noch auf eine andere Ebene gehievt und für die Kriegsberichterstattung genutzt. Genauer gesagt: für die politisch motivierte Berichterstattung über die Krise in der Ukraine.

Ironie und Zynismus

„Zehn Hinweise darauf, dass du im Krieg in Donezk lebst“, titelt RT den Artikel. Die Aufzählung, mit Bildern der Kriegsschauplätze untermalt, ist überzeugend: „Du wachst morgens mit einem Gefühl angenehmer Überraschung auf – weil Du noch am Leben bist“, lautet der erste Punkt auf der Liste. Dem folgt ein lapidares „Likes und Kommentare von Freunden aus Donezk in den sozialen Netzwerken sind ein Zeichen dafür, dass SIE auch noch am Leben sind.“ Weitere Hinweise: Beim Ankleiden morgens denkt man nicht nur darüber nach, wie man in der Arbeit aussehen möchte, sondern auch im Leichenschauhaus. Außerdem mag man keine Horrorfilme mehr, weil sie „dumm, an den Haaren herbeigezogen und nicht furchterregend“ seien – zumindest im Vergleich mit dem, was im echten Leben passiere.

Die Liste entbehrt nicht einer gewissen Ironie und eines traurigen Zynismus, den die Bewohner von Donezk möglicherweise selbst verspüren – sie basiert schließlich auch auf einem Facebook-Posting einer Frau aus der Region, das in den sozialen Netzwerken herumgereicht wurde. Sie schreibt da - ebenso wie Russia Today - vom "eigenen Friedhof, den man im Kopf herumtrage - gefüllt mit Menschen, die im Krieg starben. Und er wächst beständig."

Die Liste des Senders endet allerdings mit einem Zynismus anderer Art: Denn nach dem letzten Punkt (man hat Angst, wenn es leise um einen herum wird, denn dann folgt das große Blutvergießen) folgt auch der Fingerzeig auf jene, die dafür verantwortlich sind: die Ukrainer.

Fälschungen allerorts

Russia Today nutzt damit mit solcherart Geschichten zwar eine neue Form des Erzählens, die inhaltliche Marschroute ist aber schon seit längerem die gleiche. Viele russische Medien sind mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden Berichte fälschen, Bilder aus anderen Zusammenhängen reißen, um dem Krieg in der Ukraine den richtigen Dreh zu geben – ehemalige Journalisten bestätigen dies auch. Da werden Bilder von deutschen Panzern in der Ostukraine gezeigt, die eine NATO-Beteiligung an dem Konflikt beweisen sollen; auch Wortlisten, welche Begriffe in der Berichterstattung erlaubt sind und welche nicht, sollen existieren, berichtet ARD. „In den Redaktionsräumen gibt es Standleitungen zum Kreml“, sagt ein ehemaliger hochrangiger Redakteur in dem Bericht.

Zugegeben: Auch Kiew ist nicht zimperlich beim Verdrehen von Tatsachen, auch hier werden Bilder in falschen Zusammenhängen gezeigt. Doch in der Ukraine gibt es dagegen zumindest Widerstand: Gegen den Plan der Regierung, ein neues Informationsministerium zu schaffen, gingen Journalisten auf die Straße. Die Behörde soll nämlich vornehmlich die "russische Propaganda bekämpfen".

Für die Kiewer Journalisten ist das schlichtweg der falsche Weg. Sie nennen die Stabsstelle nur „sowjetisches Ministerium für Wahrheit“. Dennoch: Für ihre Kritik wurden sie zumindest nicht entlassen - eine Praxis, die in Russland durchaus an der Tagesordnung steht.

Die Rebellen haben heute Debalzewe eingenommen. Mehr zur aktuellen Lage lesen Sie hier.

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