Neue Sanktionen mit "Hintertür"
Nach tagelangem Richtungsstreit haben sich die EU-Staaten am Donnerstag zu einer Entscheidung durchgerungen: Freitag werden neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt. Zeitgleich verhängen auch die USA weitere Sanktionen gegen Moskau.
Das Maßnahmen-Paket war schon vor einer Woche fertig verhandelt worden, am Montag hatten alle 28 Regierungen auch schon ihre schriftliche Zustimmung gegeben. Dennoch war die Inkraftsetzung in den letzten Tagen umstritten: Mehrere EU-Staaten fürchteten, eine erneute Verschärfung der Sanktionen könnte die Krise befeuern, die Waffenruhe in der Ostukraine gefährden – und nicht zuletzt Russland zu harten Gegenschlägen provozieren. Der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew hatte Anfang der Woche angedeutet, der Kreml könnte als "asymmetrische Reaktion" auf die EU-Sanktionen Überflugverbote für westliche Fluglinien beschließen. Auch ein Import-Verbot für Autos aus der EU und ein Export-Verbot von Rohstoffen ist denkbar.
Hintertür bleibt offen
Nun hat man sich in Brüssel auf einen Kompromiss geeinigt: Die Sanktionen werden rasch verschärft – so wie das u. a. die deutsche Regierung in den vergangenen Tagen vehement gefordert hatte.
Gleichzeitig lässt man sich aber eine Hintertür offen. In einer Erklärung von Ratspräsident Herman Van Rompuy erneuern die EU-Staaten Moskau de facto ihr Friedensangebot: Sie sichern dem Kreml zu, die Sanktionen zumindest teilweise zurückzunehmen, wenn sich Russland konstruktiv um die Beendigung der Ukraine-Krise bemüht. Ende des Monats sollen die Sanktionen nochmals "überprüft" werden. In Diplomatenkreisen heißt es, sie könnten " sehr kurzfristig" wieder gelockert werden, wenn sich die Waffenruhe in der Ostukraine stabilisiert.
Mit dem Beschluss werden 24 neue Namen auf die Liste jener Personen aufgenommen, die nicht in die EU einreisen dürfen und deren Konten in der Union gesperrt sind. Die neuen Sanktionen sollen russischen Banken – vor allem staatlich kontrollierten – und Energieunternehmen wie Gazprom den Zugang zum EU-Kapitalmarkt erschweren, den Export von Technologie zur Ölförderung in der Arktis verbieten und auch Teile der russischen Rüstungsindustrie treffen. Schon jetzt verzögert sich wegen der westlichen Sanktionen die Ausbeutung schwer zugänglicher Ölvorkommen durch Russland.
Weniger Gas
Seit Montag schon meldet Polen, dass die Gaslieferungen aus Russland weniger würden. Am Donnerstag soll gar nur die Hälfte der vereinbarten Gasmenge in Polen angekommen sein. Auch die Slowakei registriert eingeschränkte Lieferungen, etwa um zehn Prozent.
Am Donnerstag bekam auch Österreich die Restriktionen zu spüren: Die OMV bestätigte, dass 15 Prozent weniger Gas als "beim russischen Partner geordert" an der Grenze ankam. Für Freitag soll eine Lieferkürzung um zehn Prozent angekündigt worden sein.
Der Gas- und Ölkonzern beschwichtigt allerdings. "Das sind übliche Schwankungen. Es kommt immer noch so viel Gas in Österreich an, dass wir sogar einspeichern können", betont OMV-Sprecher Robert Lechner.
Die EU arbeitet indes an Notfallsszenarien. Sie prüft die Pläne der Länder im Falle eines totalen Ausfalls der russischen Gaslieferungen und bereitet Krisengesetze vor.
KURIER: Fünf Tage Kaukasus – haben Sie gefühlt Asien bereist oder Europa?
Sebastian Kurz (lacht, Anm.): Wir haben gefühlt jedenfalls Europa bereist. Insbesondere Georgien ist ein Land, das ganz klar westlich orientiert ist, das in die Europäische Union strebt. Und das auch, was die demokratischen Strukturen betrifft, durchaus, was die Möglichkeiten für die Wirtschaft betrifft, sich die Europäische Union zum Vorbild gesetzt hat.
Würden Sie das über Armenien und Aserbaidschan auch sagen?
Armenien hat eine etwas andere Situation. Armenien ist genauso im Spannungsverhältnis zwischen Europa und Russland wie auch Georgien. Allerdings mit einer anderen Richtung. Es gibt hier kein Assoziierungsabkommen, sondern eine recht enge Kooperation mit Russland. Und ich glaube, da geht es jetzt darum, die östliche Partnerschaft der EU so flexibel zu gestalten, dass das Land nicht noch stärker in eine Entweder-oder-Situation gedrängt wird.
Ihre Reise war ja mit dem Außendienst der EU akkordiert. Was genau will die EU in der Region?
Klar ist, dass die EU diese Länder als Partner haben möchte und mit dem Abkommen eine ganz klare Perspektive für diese Länder anbietet. Die jüngere Geschichte hat uns aber gelehrt, dass die Werkzeuge Beitritt und Assoziierungsabkommen für viele Länder maßgeschneidert sind, dass es aber auch Länder gibt, wie Armenien, sicherlich die Ukraine oder auch Moldau, die in einem solchen Spannungsverhältnis zwischen Europa und Russland sind, dass man hier behutsamer sein muss und diese Länder proaktiv dabei unterstützen muss, , um sie nicht zwischen Russland und der EU quasi zu zerreißen – nicht um Russland nachzugeben, sondern weil es zum Wohle dieser Länder ist.
Sie sprechen von einer europäischen Perspektive, aber welche Perspektive genau ist das – der Beitritt?
In Georgien ist sicher wirtschaftlich mehr drin. Wir haben während der gesamten Reise gespürt, dass ein großes Interesse österreichischer, aber auch anderer europäischer Unternehmen besteht und dass auch die Bereitschaft von der georgischen Seite da ist, dass die Investments hier nicht nur Rechtssicherheit vorfinden, sondern auch serviciert werden, dass diese Investments auch stattfinden werden. Ich glaube, dass die wirtschaftliche Perspektive Georgiens eine positive ist. Und österreichische Investitionen sind ja nicht nur für die Wirtschaft gut, sondern auch eine Möglichkeit, Arbeitsplätze und damit Wohlstand zu sichern.
Gerade aber was Aserbaidschan angeht, so werden westliche Investments von Regimegegnern gerne als Trojanische Investments bezeichnet und nicht gerne gesehen, weil diese die Regierung stützen. Wie stehen Sie dazu?
Das sehe ich gar nicht so. Die Wirtschaft ist eine von mehreren Säulen, um die Weiterentwicklung eines Landes voranzutreiben. Damit sich ein Land weiterentwickeln kann, braucht es eine Stärkung der demokratischen Struktur, eine Stärkung der Justiz. Ein Bildungssystem. Aber natürlich auch Wirtschaftswachstum. Und wirtschaftliche Kooperationen sind meistens eine Chance, wo beide davon profitieren können. Wir sind ein exportorientiertes Land. Dafür braucht es Märkte.
Sie haben die Konflikte in der Region angesprochen. Strahlt der der Ukraine hierher aus?
Der Ukraine-Konflikt hat in einem dramatischen Ausmaß die Spannungen, die es im Hintergrund gab und gibt, sehr sichtbar gemacht.
Wie sieht die Bilanz Ihrer Reise aus?
Der gesamte Südkaukasus bietet Chancen für österreichische Unternehmen. In Aserbaidschan ist das Hauptthema aber vor allem die Menschenrechtssituation. Wir haben die Möglichkeit gehabt, die besorgniserregende Situation anzusprechen, vor allem die vielen politischen Gefangenen sowie die eingeschränkte Medienfreiheit.
Die Polen stehen viel stärker zu den Russland-Sanktionen der EU als die Österreicher, beobachtet Ernst Kopp, scheidender Wirtschaftsdelegierter in Polen. Und das, obwohl die Sanktionen Polen stärker treffen als Österreich.
Über alle Branchen hinweg gehen 4,4 Prozent der Ausfuhren nach Russland, allein polnische Obstbauern lieferten 2013 Waren im Wert von 340 Millionen Euro. Kopp schätzt, "dass das polnische Bruttoinlandsprodukt durch die Russlandkrise 0,2 bis 0,4 Prozent weniger wachsen wird".
Dennoch sieht Kopp die Wirtschaftslage positiv. Im ersten Halbjahr wuchs die polnische Wirtschaft um mehr als 3 Prozent. Unter die 3-Prozent-Marke dürfe die Quote aber nicht fallen, so Kopf: "Dann machen sich alle Sorgen, auch um die Arbeitsplätze. Der Konsum würde dann überdurchschnittlich stark abnehmen." Im August ist die Zahl der Arbeitslosen zum 7. Mal in Folge zurück gegangen (auf 11,7 Prozent). Im Jänner lag die Quote noch bei 14 Prozent.
Das Wirtschaftswachstum wird zum Teil auch mit Förderungen aus EU-Töpfen angeheizt. Beim Abholen dieser Gelder "ist Polen Europameister". In der nächsten Förderperiode, 2014 bis 2020, holen sich die Polen mehr als 100 Milliarden Euro ab. Schon allein dieses Geld pushe das Wachstum "zwischen einem halben und einem Prozent", schätzt Kopp. Dazu kommen Direktinvestitionen. Polen exportiert mittlerweile mehr Waren als es importiert. Sowohl der Fiat 500 als auch der Opel Insignia laufen in Polen vom Band. Auch weil die Löhne relativ niedrig sind. Im Vergleich zu Österreich ist die Kaufkraft etwa halb so hoch. Die große Herausforderung der nächsten Jahre sieht Kopp in der Steigerung der Effizienz und der Investitionen in Forschung und Entwicklung.
Im Osten der Ukraine halten sich unterdessen nach Erkenntnissen der NATO weiterhin "rund tausend russische Soldaten" auf. Ein Militärvertreter des Militärbündnisses erklärte am Donnerstag in Brüssel, darüber hinaus stünden weitere 20.000 russische Soldaten an der ukrainisch-russischen Grenze. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte am Mittwoch gesagt, "70 Prozent" der russischen Soldaten seien aus der Unruheregion im Südosten der Ukraine abgezogen.
Die ukrainische Regierung hat unterdessen am Donnerstag eingeräumt, dass die prorussischen Aufständischen im Osten des Landes ihr Einflussgebiet bis ans Asowsche Meer ausgeweitet haben. Die dortigen Grenzabschnitte zu Russland würden derzeit "von prorussischen Söldnern kontrolliert", sagte der Militärsprecher Andrej Lissenko am Donnerstag vor Journalisten in Kiew.
Hilfskonvoi steckt fest
Ein nach Beginn der Waffenruhe in der Ostukraine angekündigter russischer Hilfskonvoi steckt offenbar an der ukrainischen Grenze fest. Die Lastwagen mit rund 2000 Tonnen Hilfsgütern stünden im Grenzort Donezk im Gebiet Rostow, weil ein zuvor mit Kiew vereinbarter Plan nicht umgesetzt worden sei. Das sagte ein Sprecher des russischen Zivilschutzes am Donnerstag russischen Agenturen zufolge. Die Ladung enthalte unter anderem Medikamente, Lebensmittel und Stromgeneratoren.
Österreich hat derzeit drei Bundesheer-Soldaten für die Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ostukraine eingemeldet. Das Kontingent könnte allerdings noch aufgestockt werden, wie der Sprecher von Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ), Andreas Strobl, auf APA-Anfrage mitteilte. Man warte derzeit darauf, dass die OSZE "sagt, was sie braucht". Erst dann könne entschieden werden, wer entsendet werden solle. Das Ministerium rechne jedenfalls damit, dass die Organisation mit Sitz in Wien "in relativ kurzfristigem Zeitraum" einen Anfrage an die Mitgliedsstaaten richten werde, so Strobl.
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