Der Rubel stürzt ab: Wie lange kann Putin seinen Krieg noch finanzieren?

Wenn selbst die treuesten Propagandisten im TV wettern, dass „das ganze Ausland über uns lacht“, dann muss Feuer am Dach sein: Der Rubel ist derzeit so wenig wert wie kurz nach Kriegsbeginn – 100 Rubel zahlt man für einen Dollar, das ist ein Einbruch um die Hälfte seit dem letzten Sommer.
Ist das der Absturz, auf den der Westen so lange wartet? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.
Ist der Rubelverfall ein Effekt der Sanktionen?
„Ja, ein indirekter“, sagt Artem Kochnev, Russland-Experte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. 2022 hatte Russland noch massive Exporteinnahmen durch hohe Gas- und Ölpreise, nun sind die wegen des Öl-Preiscaps und der Stabilisierung der Energiepreise weggebrochen (der Handelsüberschuss sank um 85 Prozent). Die Importe haben hingegen das Vorkriegsvolumen erreicht, darum gebe es „immer mehr Nachfrage nach Fremdwährungen, doch Devisen fließen vom Ausland immer weniger ins Land.“
In diesem Artikel lesen Sie:
- Warum die russische Arbeitslosigkeit so niedrig ist - und welche Tricks dahinterstecken
- Wie schnell es gehen kann, dass die Wirtschaft zusammenbricht
- Wie lange Putin seinen Krieg noch finanzieren kann
Heißt das, dass Russlands Wirtschaft wankt?
Ja, sie ist angegriffen. Die Zentralbank versucht mit einer Leitzinserhöhung gegenzusteuern – so will man die Nachfrage nach Krediten verringern und Importe drosseln. „Man versucht die Wirtschaft vor einer Überhitzung zu bewahren“, sagt Kochnev. Gefährlich sei die Reaktion der Bevölkerung: „Die Marke von einem Dollar für 100 Rubel ist ein Knackpunkt“, sagt der in Russland geborene Experte – viele Menschen würden beginnen, Fremdwährungen zu kaufen, das führe zu Panik und einer Abwärtsspirale. „Erste Zeichen dafür sieht man, so etwas kann sich sehr schnell entwickeln.“
Zuletzt wirkte Russland fast wie ein Wirtschaftswunderland. Wie kann das sein?
Die Wirtschaft war gegenüber den Sanktionen erstaunlich widerstandsfähig, hauptsächlich wegen der geschickten Finanzpolitik der Zentralbank. Die guten Zahlen sind aber mit Vorsicht zu genießen: Die Arbeitslosenquote von 3,2 Prozent sei deshalb so gering, weil durch Abwanderung (eine Million emigrierte) und Mobilisierung massiv spezialisierte Fachkräfte und Arbeiter im Niedriglohnsektor fehlen würden, sagt Kochnev. Zudem schummeln Firmen seit Jahren, um die Quote klein zu halten: Leute würden nicht gekündigt, sondern „zur Teilzeit aufgefordert oder auf unbezahlten, unbefristeten Urlaub“ geschickt.
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Wie lange hält die Wirtschaft das noch durch – und finanziert Putins Krieg?
Kochnev vergleicht Russlands Zustand mit dem nach einer Covid-Infektion: Auf der Intensivstation sei der Patient gut durchgekommen, doch Komplikationen der Krankheit – wachsende Isolation und ständige Unsicherheit – haben „einen langfristigen Effekt wie Long Covid.“ Die Medikamente – die Kriegsausgaben und die restriktive Finanzpolitik – helfen die Symptome zu mildern, haben aber massive Nebenwirkungen.
Derzeit stabilisiere der Staat die Wirtschaft mit massiven Militärausgaben, finanziert über den Wohlstandsfonds, der zwar zur Hälfte im Westen eingefroren, aber mit sechs Prozent des BIP noch gut gefüllt sei. Zudem nimmt der Staat in großem Stil Kredite bei russischen Banken auf. Das alles wirke „wie Steroide bei einer chronischen Krankheit“ auf die Wirtschaft, sagt Kochnev, die Therapie funktioniere aber nur beschränkt – auch wegen der Sanktionen: Schon jetzt fehle es an Hochtechnologie-Komponenten, etwa für die Öl- und Gasgewinnung, darunter leide zum Teil auch die Rüstungsindustrie. Wenn die Zentralbank nun Importe drossele, hätte das weitere negative Effekte. Ruiniert sei die Wirtschaft aber noch lange nicht. „Das kann noch zwei, drei Jahre so gehen“, sagt der Experte.
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