In Putins Russland macht die Indoktrination auch vor Kindergärten und Schulen nicht mehr Halt. Das erinnert nicht zufällig an die Sowjetzeit, auch damals sollten Kinder im Komsomol oder als Pioniere zu willfährigen Staatsbürgern erzogen werden. Während Putin bis vor einigen Jahren noch darauf setzte, die Jugend – wie die ganze Bevölkerung – so apolitisch und apathisch wie möglich zu halten, erzieht man jetzt schon vom Kindergarten an wieder brave Bürger – der Staatsapparat braucht seit der Invasion schließlich Unterstützung.
Seit letztem Herbst gilt darum in staatlichen Schulen die Pflicht, den Montag mit dem Fahnenappell zu beginnen. Danach folgt eine Patriotismus-Stunde: Die Inhalte sind vom Ministerium vorgegeben, oft sind das Videos mit Politikern oder Auftritte von Soldaten. Parallel wird das Ganze im größten russischen Sender übertragen. Was die Kinder dabei lernen sollen? Dass „man sich nicht zu fürchten braucht, für die Heimat zu sterben“, sieht das Gesetz etwa bei Achtjährigen vor.
Das hat eine neue Qualität. In russischen Schulbüchern war zwar schon in den letzten Jahren ein geschöntes Geschichtsbild vermittelt worden, Kapitel über Stalins Terror, die Gulags oder die bewusst ausgelösten Hungersnöte mit Millionen Toten suchte man vergebens.
Jetzt wird die Geschichtsschreibung in ein Heldenepos verwandelt, die offizielle Lektüre um den „notwendigen Einsatz“ in der Ukraine erweitert: In neuen Schulbüchern wird die „Spezialoperation“, die auch hier nicht Krieg genannt werden darf, als „Befreiung eines unterdrückten Volkes“ beschrieben.
Schwieriger Widerstand
Dass das so nicht stimmt, ist vielen klar, Lehrern genauso wie Schülern. Allerdings ist der Druck von oben so groß, dass sich Widerstand nur vereinzelt findet. Zu Beginn der Invasion fand in Sozialen Netzwerken sogar ein regelrechter Wettkampf zwischen Schul- und Kindergartenleitern statt, die ihre Kinder in Z-Formation, in Uniform oder mit aus Pappe gebastelten Panzern zeigten.
Wer bei all dem nicht mitmacht, läuft Gefahr, denunziert zu werden – wie Warja. „Anfangs dachte ich, jemand erlaubt sich einen bösen Scherz“, sagt Jelena, Warjas Mutter. Dem unabhängigen Portal OWD-Info, das Fälle von Polizeigewalt sammelt, erzählte sie, wie Polizei und FSB ihre zehnjährige Tochter aus der Klasse in Moskau zerrten. Der Grund? „Sie hat als Profilbild ukrainische Symbole verwendet, im Klassenchat den ukrainischen Präsidenten verteidigt.“ Mutter und Tochter wurden stundenlang verhört, „auch unsere Wohnung haben sie durchsucht“, sagt sie. Angeschwärzt sind sie von anderen Eltern worden, die Schule half bei der Aktion mit.
500 inhaftierte Kinder
Geschichten wie diese gibt es zuhauf, sie werden zur Abschreckung auch in Kreml-nahen Medien verbreitet. Fast 20.000 Menschen wurden seit Kriegsbeginn wegen „antikriegerischer Handlungen“ inhaftiert, gut 500 davon waren minderjährig. Gegen mindestens zehn Jugendliche wurde auch ein Strafverfahren eröffnet, die Aussichten auf Erfolg: gering.
Für die Betroffenen hat das meist nur eine Konsequenz. „Ich will raus aus Russland“, sagt Jelena. „Und meine Tochter auch.“
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