Mit Blumenstrauß und blanken Nerven – Wahlkampf um die absolute Mehrheit

Bei der Duma-Wahl ist der Kreml-Partei der Sieg sicher – dennoch steht viel auf dem Spiel.

Dass Sergej Jurjewitsch ein netter Nachbar sei, habe sie schon immer gewusst, sagt Tatjana Rumjanzewa. Stets grüße er freundlich im Treppenhaus. Jetzt hat er ihr sogar zum Geburtstag gratuliert. "Ein paar Tage zu spät, aber mit Blumenstrauß". Natürlich habe sie ihn in die Küche gebeten, Wasser aufgesetzt und das letzte Stück Geburtstagstorte aus dem Kühlschrank geholt. Er habe gleich gesehen, dass die Beleuchtung nicht mehr funktioniert und Hilfe angeboten. Man habe sich dann auch noch etwas über die Wahlen unterhalten. Am 18. September wird in Russland das Parlament neu gewählt. Die Kreml-Partei "Einiges Russland" ist auf dem Stimmzettel als Nummer vier gelistet. Dort will die Bibliothekarin ihr Kreuz machen. Wegen Putin und wegen Sergei Jurjewitsch, der in Rumjanzewas Wahlkreis im Nordwesten Moskaus um ein Direktmandat kämpft.

Imageprobleme

In den USA würden Kandidaten Wählern die Einfahrt zur Garage von Schnee freischippen, um deren Stimme zu kriegen. "Das habe ich mit eigenen Augen gesehen", sagt Denis Orlow. Bei der letzten Wahl 2011 hätten Putins Paladine sich darüber noch mokiert, jetzt würden sie abkupfern beim Erzrivalen. "Da liegen die Nerven blank", glaubt der Informatiker. Die Einheitsrussen hätten ein Imageproblem und liefen Gefahr, die absolute Mehrheit zu verlieren. Dazu komme allgemeine Politikverdrossenheit. "Je niedriger die Wahlbeteiligung, desto fragwürdiger die Legitimation der neuen Duma", so der 32-Jährige.

Und wie sieht sein Beitrag zur Legitimation der Legislative aus? Er, so sagt Orlow, werde am Wahltag auf die Datscha fahren, in die Pilze gehen und dann seiner Mutter bei der Kartoffelernte helfen. Die Putin-Partei wolle er nicht und die Liberalen könne er nicht wählen. "Die haben es wieder mal nicht geschafft, sich zusammenzuraufen, hauen sich gegenseitig die Beine weg und werden alle an der Fünf-Prozent-Klausel scheitern." Seine Mutter werde wählen gehen: "Den Alten sitzt noch immer die Angst im Blut." Wahlverweigerung wurde in kommunistischen Zeiten als antisowjetische Tätigkeit geahndet. Im Wiederholungsfall strafrechtlich.

Orlows Mutter heißt Galina und ist gerade dabei, die Ernte vom Wochenende zu verarbeiten: Einlegegurken. Vor mehr als vierzig Jahren habe sie zum ersten Mal gewählt. Den "Block der Kommunisten und Parteilosen". Andere Kandidaten gab es nicht. Jetzt stehen zwei Dutzend Parteien auf dem Stimmzettel.

Frau Orlowas Favoriten sind noch immer die Kommunisten. Zu deren Meetings und Demos geht sie nicht, aber ihre Stimme ist ihnen sicher. "Die Kommunisten haben zu Sowjetzeiten viel für das Volk getan und heute sind sie die Einzigen, die die Interessen der Werktätigen vertreten." Außer Putin natürlich, aber der sei tief im Herzen ebenfalls Kommunist – und habe wie die Kommunisten endlich auch zu Gott gefunden. Und mit Gott im Bunde werde der Kommunismus irgendwann doch siegen. Galina Orlowa bekreuzigt sich. Ihre Eltern hatten sie 1954 heimlich taufen lassen.

Stimmenkauf?

"Schon wieder alles teurer geworden. Strom, Gas, Telefon". Ungläubig starrt eine Nachbarin von Frau Orlowa auf die Rechnungen, die sie im Hausflur gerade aus dem Briefkasten gefischt hat. Auf die Frage nach ihren politischen Präferenzen kommt eine Gegenfrage: "Haben Sie Internet?" Eine Bekannte habe erzählt, im Netz könne man seine Stimme verkaufen. Für hundert Rubel – derzeit in etwa 1,25 Euro.

Die Gerüchte über Stimmenkauf im Internet hätten die "Demokraten" in Umlauf gebracht, glaubt Wadim Gorochow und meint die Liberalen. Auf die ist Herr Gorochow gar nicht gut zu sprechen. Bezahlte Agenten des Westens nennt er sie, die Putin schaden wollten. Im Hintergrund läuft der Fernseher – seit die Ehefrau tot ist, der wichtigste Gesprächspartner für Gorochow. Dass es ein Monolog ist, stört den pensionierten Oberstleutnant nicht. Er, sagt Gorochow, der auf die 70 zugeht, aber noch immer ein straffes Gesicht und einen Waschbrettbauch hat, habe schon im aktiven Dienst immer die "Partei der Macht" – sprich: des Kremls – gewählt, ihr werde er auch diesmal seine Stimme geben. Der Fahneneid verpflichte jeden russischen Offizier zu Loyalität. Lebenslang.

Kommentare