Russland erhöht Druck im Osten: Sjewjerodonezk vor dem Fall

Russland erhöht Druck im Osten: Sjewjerodonezk vor dem Fall
Russland erhöht den Druck im Osten der Ukraine weiter - die Stadt steht bereits beinahe zu einem Drittel unter russischer Kontrolle. Auch an der Wirtschaftsfront tut sich einiges.

Tag 96 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Die Lage im Osten der Ukraine bleibt nach den Worten des ukrainischen Präsidenten äußerst schwierig. Dort sei nun die "maximale Kampfkraft der russischen Armee" versammelt, sagte Wolodymyr Selenskij in einer Videobotschaft in der Nacht auf Dienstag. Sie versuche, im Donbass immer mehr Druck auf ukrainische Soldaten auszuüben. Als wichtige Ziele der russischen Armee nannte Selenskij die Städte und Ortschaften Sjewjerodonezk, Lysytschansk, Bachmut, Slowjansk und Awdijiwka.

Sjewjerodonezk vor dem Fall

Vor allem die Kämpfe um die frühere Großstadt Sjewjerodonezk gehen in die entscheidende Phase. Einem Separatistenanführer zufolge haben die russischen Streitkräfte etwa ein Drittel der strategisch wichtigen Stadt Sewerodonezk unter ihre Kontrolle gebracht. Die Truppen kämen aber nicht so schnell voran, wie man es sich erhofft habe, zitierte die russische Nachrichtenagentur TASS am Dienstag den Anführer der pro-russischen Separatistenregion Luhansk, Leonid Pasetschnik. In der Stadt tobten Kämpfe.

Der Vormarsch werde auch erschwert, weil es mehrere große Chemieanlagen in der Region gebe. Man wolle vor allem die Infrastruktur der Stadt erhalten. Nach ukrainischen Angaben sind dagegen große Teile der Stadt durch russischen Beschuss zerstört. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte erklärt, rund 90 Prozent der Gebäude von Sewerodonezk seien beschädigt, mehr als zwei Drittel der Wohnhäuser zerstört.

Ein Beinahe-Sieg

Sewerodonezk mit eigentlich rund 100.000 Einwohnern ist die größte Stadt im Donbass, die von der Ukraine noch gehalten wird. Die Einnahme von Sewerodonetsk und der Nachbarstadt Lyssytschansk am Ufer des Flusses Siwerskyj Donez würde Russland die faktische Kontrolle über die Region Luhansk im Donbass geben und die Möglichkeit, nach mehr als drei Monaten Krieg eine Art Sieg zu verkünden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte kürzlich die Einnahme des Donbass als eine bedingungslose Priorität für sein Land bezeichnet. Russland erkennt die separatistischen Donbass-Regionen Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten an.

Gasstopp und Ölembargo

An der Wirtschaftsfront tut sich auch einiges. Am Montag hat Russland nun auch den Niederlanden das Gas abgedreht - das russische Staatsunternehmen Gazprom will ab Dienstag kein Gas mehr an die Niederlande liefern, weil der Gasimporteur seine Rechnung nicht in Rubel bezahlen will. Gazprom werde vom 31. Mai bis zum 30. September bestellte zwei Milliarden Kubikmeter Gas nicht liefern, teilte das niederländische Gasunternehmen GasTerra am Montag in Groningen mit. Große Folgen für Unternehmen und Haushalte werden aber nicht erwartet.

Die EU hat indes ein Ölembargo gegen Russland beschlossen: Auf Drängen Ungarns darf zwar noch Öl durch die Druschba-Pipeline nach Osteuropa fließen, aber Öl per Schiff wird keines mehr angenommen. Das wird voraussichtlich auch große Auswirkungen auf Europas Wirtschaft haben - mehr dazu hier.

Kampf ums Getreide

Auch in Charkiw und in der Region Sumy im Nordosten der Ukraine hat es am Montag wieder Beschuss gegeben. Die Ukraine rechnet derzeit mit einem Großangriff auf das Zentrum ihrer Verteidigungskräfte im Donbass im Osten des Landes. Der Raum Slowjansk-Kramatorsk ist der größte Ballungsraum, der noch unter Kontrolle Kiews steht. Hier ist auch das Oberkommando der Streitkräfte im Osten des Landes stationiert.

Selenskij ging in seiner Videoansprache auch auf die durch den Krieg drohende weltweite Getreideknappheit ein. 22 Millionen Tonnen Getreide, die bereits in der Ukraine für den Export gelagert seien, könnten aufgrund der russischen Blockade der Häfen das Land nicht verlassen. Er warnte, dass dadurch in Ländern Afrikas, Asiens und Europas eine Hungersnot drohe, die wiederum eine Migrationsbewegung in Gang setzen könnte.

Selenskij sieht darin die Absicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin, den Westen zu destabilisieren. Die Ukraine ist einer der größten Getreideexporteure weltweit. Auch westliche Politiker werfen Russland vor, auf eine Hungerkrise zu spekulieren und sie als Druckmittel einzusetzen, damit der Westen die Sanktionen abschwächt. Moskau weist diese Anschuldigungen zurück.

Die russischen Streitkräfte bereiten nach ukrainischen Angaben einen groß angelegten Angriff auf den Raum Slowjansk, das Zentrum der ukrainischen Verteidigungskräfte im Donbass, vor. Die strategisch wichtige Stadt Sjewjerodonezk steht vor der Einnahme. Der Gouverneur von Luhansk, Serhij Gajdaj, sprach von sehr heftigen Kämpfen mit starkem Beschuss. Die Ukraine und Russland beklagten sieben tote Zivilisten in der Region.

Im Gebiet Donezk seien drei Menschen durch russischen Beschuss getötet worden, teilte Gouverneur Pawlo Kyrylenko auf Telegram mit. In der Region Charkiw starb nach Angaben der Online-Zeitung Ukrajinska Prawda ein Mann durch russische Granaten. Die russische Seite sprach der Agentur TASS zufolge von zwei getöteten Zivilisten durch ukrainische Angriffe im Gebiet Donezk sowie zwei getöteten Frauen im Gebiet Luhansk. Die Angaben sind nicht unabhängig zu überprüfen.

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