Selenskij: Russland hat keine Zukunft, Ukraine meldet Offensive im Süden

Selenskij: Russland hat keine Zukunft, Ukraine meldet Offensive im Süden
Tag 95: Der ukrainische Präsident wirft Moskau die Zerstörung von Sewerodonezk vor. Russland bereitet laut Kiew Angriff auf Slowjansk vor. Russlands Außenminister Lawrow äußert sich zu Putins Gesundheitszustand.

Tag 95 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine:

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat Russland einen Vernichtungskrieg vorgeworfen. "Schwarze, ausgebrannte, halb zerstörte Wohnhäuser blicken mit ihren Fenstern nach Osten und Norden - dorthin, von wo die russische Artillerie schoss", sagte er in einer Videobotschaft nach einem unangekündigten Besuch in Charkiw, das seit einiger Zeit wieder zur Gänze unter ukrainischer Kontrolle ist. Russland habe nicht nur die Schlacht um Charkiw, sondern auch um Kiew und den Norden der Ukraine verloren.

"Es hat seine eigene Zukunft und jede kulturelle Bindung zur freien Welt verloren. Sie sind alle verbrannt."

Selenskij warf Russland auch die weitgehende Zerstörung der Großstadt Sjewjerodonezk im Donbass vor. Die gesamte Infrastruktur sei vernichtet, sagte er.

Gefeuerter Geheimdienstchef

Die Reise nach Charkiw war der erste bekannte Besuch Selenskijs im Frontgebiet seit Beginn des russischen Angriffs. Bei dem Besuch habe er den örtlichen Chef des Inlandsgeheimdienstes SBU entlassen, teilte Selenskij mit: "Weil er seit den ersten Tagen des Krieges nicht für den Schutz der Stadt gearbeitet hat, sondern nur an sich gedacht hat."

Der Fall sei der Justiz übergeben worden.

Lawrow: Einnahme des Donbass eine "bedingungslose Priorität"

Der russische Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Einnahme des Donbass am Sonntag als "bedingungslose Priorität". Es gehe darum, die ukrainische Armee und Bataillone aus den von Moskau als unabhängige Staaten anerkannten Gebieten Donezk und Luhansk zu drängen, sagte Lawrow in einem Interview mit dem französischen Sender TF1.

 

Lawrow sprach erneut von einer angeblichen "Befreiung" des Donbass vom "Kiewer Regime".

Er äußerte sich auch auf eine Frage zur Gesundheit Putins. Der Präsident erscheine täglich in der Öffentlichkeit, sagte der Außenminister. "Sie können ihn auf den Bildschirmen beobachten, seine Auftritte lesen und hören. Ich glaube nicht, dass vernünftige Leute in diesem Menschen Anzeichen einer Krankheit oder eines Unwohlseins sehen können."

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Große russische Verluste

Laut britischen Geheimdienstinformationen hat Russland im Krieg in der Ukraine offenbar große Verluste bei den mittleren und unteren Offiziersrängen erlitten. Dies könnte die militärische Effektivität der russischen Streitkräfte schwächen, erklärt das Verteidigungsministerium auf Basis eines Geheimdienst-Berichts.

Brigade- und Bataillonskommandeure seien wahrscheinlich in den gefährlichsten Positionen eingesetzt worden. Zugleich hätten untergeordnete Offiziere taktische Aktionen auf niedriger Ebene leiten müssen.

Angriff auf Slowjansk?

Die russischen Streitkräfte bereiten nach ukrainischen Angaben unterdessen einen groß angelegten Angriff auf den Raum Slowjansk vor, das Zentrum der ukrainischen Verteidigungskräfte im Donbass. Die russischen Truppen verlegten neue Einheiten in das Gebiet, um Slowjansk sowohl von Isjum als auch von der kürzlich eroberten Kleinstadt Lyman aus anzugreifen, teilte der ukrainische Generalstab am Montag mit.

Der Raum Slowjansk - Kramatorsk ist der größte Ballungsraum im Donbass, der noch unter Kontrolle Kiews steht. Hier ist auch das Oberkommando der Streitkräfte im Osten des Landes stationiert. Neben Slowjansk steht eben aber auch weiterhin der Raum Sjewjerodonezk - Lyssytschansk im Fokus der russischen Angriffsbemühungen im Donbass. 

Ukraine meldet Offensive im Süden des Landes

Das ukrainische Militär hat indes nach eigenen Angaben in der Nacht seine Offensive im Süden des Landes fortgesetzt. Russland ziehe Reserven zusammen und versuche, die Frontlinien im Gebiet Cherson zu befestigen.

Kiew hatte die Angriffe im Süden des Landes am Wochenende auch als Gegenoffensive zum russischen Vormarsch im Donbass gestartet. Die Militärexperten des US-Kriegsforschungsinstituts Institute for the Study of War (ISW) bewerteten die Angriffe als "erfolgreiche begrenzte Gegenattacke". Diese habe die Russen in der Region dazu gezwungen, zur Verteidigung überzugehen und störe den Versuch Moskaus, die Kontrolle über die Schwarzmeerregion Cherson zu etablieren.

Streit um Öl-Embargo in Brüssel

Der andauernde Streit über die Pläne für ein europäisches Öl-Embargo gegen Russland droht am Montag den beginnenden EU-Gipfel in Brüssel zu überschatten. In Berlin könnte weiter über das geplante Sondervermögen der Bundeswehr debattiert werden. Union und Koalition hatten sich am Sonntagabend auf die gesetzlichen Grundlagen für das geplante Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro geeinigt.

Sieger des ESC versteigerten Trophäe

Die ukrainischen Sieger des Eurovision Song Contest versteigerten nach eigenen Angaben ihre Trophäe des Wettbewerbs zugunsten der Armee ihres Heimatlandes. "Einen besonderen Dank an das Team Whitebit, das die Trophäe für 900.000 US-Dollar (841.357,39 Euro) gekauft hat und jetzt rechtmäßiger Besitzer unserer Trophäe ist", teilte die Band Kalush Orchestra am Sonntagabend mit.

Whitebit ist ein ukrainisches Unternehmen, das eine Kryptobörse betreibt, also eine Online-Handelsplattform, auf der sich Kryptowährungen kaufen, verkaufen und tauschen lassen. Seit 2008 bekommen die Sieger eine gläserne Mikrofon-Trophäe überreicht. Kalush Orchestra hatte Mitte Mai mit dem Lied "Stefania" den 66. ESC in Turin gewonnen.

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