Leben in Russland: "Überwachung gab es immer, nur jetzt spüre ich sie auch"
Als er am 11. November 1995 auf dem Flughafen Scheremetjewo aus der Maschine gestiegen ist, verschwendete er keinen Gedanken daran, soeben in seinen neuen Lebensmittelpunkt getreten zu sein. Frank Ebbecke hatte als Bürger der Bundesrepublik Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt „keine Verbindung Richtung Osten“, er kam „rein beruflich“ nach Moskau. Als Marketingkommunikationsberater in der russischen Niederlassung einer US-Werbeagentur und im Auftrag einer großen Automarke.
27 Jahre später ist Ebbecke noch immer da. Ein Job folgte dem anderen, in der Rolle des Managers, Buchautors, schreibt für die Moskauer Deutsche Zeitung, ist Vortragender auf Universitäten. „Vier Krisen hab ich erlebt und überlebt“, sagt er. Die Nachwirkungen der Sowjetzeit, stand in Schlangen vor Geschäften und vor leeren Auslagen, die Chaos-Tage unter Jelzin, den wirtschaftlichen Aufstieg und den aktuellen Abstieg, verursacht von einem Krieg, den er nur „spezielle Sonderoperation“ nennen darf. Um all das wegzustecken, leisten dem 73-Jährige mittlerweile einige Eigenheiten der russischen Mentalität Hilfestellung.
KURIER: Wie ist das Leben in Moskau? Spüren die Menschen den Krieg, der in Russland ja nur „Spezialoperation“ genannt werden darf?
Frank Ebbecke: Wirtschaftlich geht es hier gerade gewaltig wie an vielen Orten dieser Welt den Bach runter. Das wird auch nicht mehr so verheimlicht, und keiner weiß eigentlich, wann das aufhört – die Zeitprojektion ist unabschätzbar.
Woran merkt man die Krise?
Es fehlt an vielen Ecken und Enden. Dem Industriebereich fehlen Ersatzteile – für Autos, Flugzeuge, in Supermärkten gibt es viele ausländische Marken nicht mehr. Das heißt aber nicht, dass die Regale leer sind. Viele Firmen existieren weiter unter russischem Management. Auch der Autosektor hat sich massiv verändert, er wurde fast komplett von chinesischen Herstellern übernommen. In den letzten drei Monaten sollen alleine in Moskau 1.000 chinesische Händlerbetriebe aufgemacht haben.
Auch die Teuerung wird nicht spurlos vorübergehen?
Ja, es herrscht wie in ganz Europa hohe Inflation. Milch, Brot, Kartoffeln, Zucker und Buchweizen, das Hauptnahrungsmittel vieler Russen, sind empfindlich teurer geworden. Große Reisen kann sich kaum jemand mehr leisten, der internationale Terminal am Flughafen Scheremetjewo ist oft gespenstisch leer. Und die Zeit der Luxusartikel ist sowieso vorbei – die werden höchstens als teure Parallelimporte verkauft.
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