Bombardierter Hilfskonvoi in Syrien: Mehr als 20 Tote

Ein Hilfsconvoi wurde bombardiert.
Die US-Regierung werde die Bombardierung direkt mit Moskau thematisieren, kündigte der Sprecher von US-Außenminister John Kerry an. Derweil dementiert Moskau eine Verwicklung in den Vorfall.

Nach den Luftangriffen auf einen Hilfskonvoi nahe der belagerten Stadt Aleppo stellt die US-Regierung ihre Zusammenarbeit mit Russland offen in Frage. Das Ziel des Konvois aus Lastwagen der Vereinten Nationen und des Roten Halbmonds sei sowohl der syrischen wie der russischen Regierung bekannt gewesen, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, John Kirby, am Montag. "Und dennoch wurden die Helfer getötet, während sie versuchten, den Menschen in Syrien beizustehen", so Kirby. Die US-Regierung werde die Bombardierung direkt mit Moskau thematisieren, kündigte Kirby an. "Angesichts der ungeheuerlichen Verletzung der Waffenruhe werden wir die weiteren Aussichten einer Zusammenarbeit mit Russland neu bewerten", fügte er hinzu.

Direkt verantwortlich gemacht hat die US-Regierung Russland bisher nicht für den Angriff auf den Hilfskonvoi für Aleppo, bei dem am Montag nach Angaben des Roten Kreuzes etwa 20 Menschen ums Leben gekommen sind. "Rund 20 Zivilisten und ein Mitarbeiter des Roten Halbmonds wurden getötet, als sie humanitäre Hilfsgüter von den Lastwagen luden", erklärte die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften am Dienstag in Genf.

Bombardierter Hilfskonvoi in Syrien: Mehr als 20 Tote

Die Zerstörung des Hilfskonvois ist dem Verteidigungsministerium in Moskau zufolge nicht vom russischen oder syrischen Militär verursacht worden. "Weder die russische noch die syrische Armee hat einen Luftangriff auf den UN-Konvoi bei Aleppo geflogen", sagte Generalmajor Igor Konaschenkow am Dienstag der Agentur Interfax zufolge. "Wir haben Videoaufzeichnungen geprüft und keine Anzeichen festgestellt, dass die Wagenkolonne von Munition - welcher Art auch immer - getroffen wurde. Zu sehen sind keine Bombentrichter, die Wagen weisen keine Schäden durch eine Druckwelle auf. Alles, was wir im Video gesehen haben, ist eine direkte Folge eines Brandes", sagte Konaschenkow.

Rotes Kreuz: "Angriff ist Kriegsverbrechen"

Das Rote Kreuz erachtet den Anschlag auf den Hilfskonvoi in Syrien als Kriegsverbrechen. "Es war ein gezielter Angriff und ein bewusster, eklatanter Bruch des humanitären Völkerrechts", sagte Werner Kerschbaum, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes, am Dienstag gegenüber der APA. Es habe Sicherheitsgarantien aller Konfliktparteien gegeben.

Tagelang sei der mit Lebensmitteln, Medikamenten und Wasser beladene Konvoi an der syrisch-türkischen Grenze festgestanden, berichtet Kerschbaum. Erst als die Einverständniserklärungen aller Konfliktparteien eingetroffen seien, habe sich der Konvoi der UNO und der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung in Richtung Aleppo bewegt. Trotz der Sicherheitsgarantien und der Kennzeichnung mit internationalen Schutzzeichen seien die Helfer und Fahrzeuge am Montag aus der Luft angegriffen worden. Dabei wurde ein Angestellter des Syrisch-arabischen Roten Halbmonds getötet. Die restlichen Opfer seien Zivilisten, die als Chauffeur oder Helfer den Konvoi begleitet hatten.

Wer für den Beschuss verantwortlich war, blieb zunächst unklar. Angriffe wie diese treffen die "Ärmsten der Armen", sagt Kerschbaum. Die humanitäre Lage in dem Gebiet sei ohnehin schon "sehr prekär" und werde sich nun "noch verschlechtern".

Die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz stoppten am Dienstag vorerst alle ihre Hilfslieferungen in dem Bürgerkriegsland. "Wenn Hilfe nur mehr unter lebensbedrohenden oder lebensauslöschenden Bedingungen geleistet werden kann, können wir das nicht bewusst in Kauf nehmen." Hilfsorganisationen seien ihren Mitarbeiter gegenüber verpflichtet, größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. In fünf Jahren seien in Syrien 54 Mitarbeiter des Roten Halbmonds getötet worden. "Humanitäres Völkerrecht ist einzuhalten", forderte Kerschbaum.

Zweifel an Vereinbarungen mit Russland

Schon zuvor hatten sich ranghohe Vertreter der Regierung von Präsident Barack Obama skeptisch über die Chancen geäußert, die mit Russland ausgehandelte Waffenruhe für Syrien nach dem Bombardement noch retten zu können. Die Ereignisse vom Montag hätten erhebliche Zweifel aufgeworfen ob Russland seinen Teil der Vereinbarung zur Befriedung des Landes einhalten könne, sagte ein Vertreter der US-Regierung vor Journalisten. Russland müsse rasch Klarheit darüber schaffen, ob es sich den getroffenen Vereinbarungen noch verpflichtet fühle, sagte ein anderer ranghoher Vertreter der Regierung.

Es sei unklar, ob russische oder syrische Kampfflugzeuge für die Angriffe auf die Hilfskonvois verantwortlich seien, sagte ein Regierungsvertreter. Bei "schweren Luftangriffen" in Aleppo starben zudem laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die ihren Sitz in London hat, sechs Menschen. Der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, zeigte sich schockiert von dem Angriff, bei dem nach UN-Angaben mindestens 18 der 31 Lastwagen, die im Auftrag der UNO und des syrisch-arabischen Roten Halbmonds unterwegs waren, zerstört wurden. "Unsere Wut über diesen Angriff ist enorm. Der Konvoi war das Ergebnis eines langen Verhandlungsprozesses mit dem Ziel, eingeschlossenen Menschen zu helfen", erklärte eine Sprecherin de Misturas. Sollte sich der Angriff vorsätzlich gegen die Helfer gerichtet haben, "dann läuft dies auf ein Kriegsverbrechen hinaus", sagte der Chef der UN-Hilfseinsätze, Stephen O'Brien. Auch Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault verurteilte den Angriff auf das Schärfste. Der Vorfall zeige "die dringende Notwendigkeit für ein Ende der Kämpfe in Syrien", sagte Ayrault.

Auch die UNO machte zunächst keine Angaben zu den Urhebern des Angriffs. Das syrische Militär äußerte sich nicht zu dem Vorfall. Die Regierung in Damaskus hatte die Waffenruhe am Montag für beendet erklärt und dies mit der Verletzung der Vereinbarungen durch den US-Angriff auf syrische Soldaten begründet. Schon vor der Erklärung der syrischen Armee sagte der russische General Sergej Rudskoj, die "einseitige Einhaltung" der Waffenruhe durch die syrischen Regierungstruppen habe "keinen Sinn" mehr. Der Angriff auf den Hilfskonvoi, für den syrische oder russische Flugzeuge in Frage kommen, ereignete sich am späten Montagabend in der Nähe von Urm al-Kubra westlich von Aleppo. Die oppositionsnahe Beobachtungsstelle hatte schon zuvor berichtet, dass syrische oder russische Kampfflugzeuge Angriffe auf Rebellen-Gebiete im Zentrum Aleppos und Dörfer westlich der Stadt geflogen hätten. Dabei habe es zahlreiche Tote und Verletzte gegeben. Russland unterstützt Syrien im Kampf gegen Aufständische.

"Regime der Ruhe"

Syrien hatte am Montag erklärt, das vor rund einer Woche für das Bürgerkriegsland vereinbarte "Regime der Ruhe" gelte nicht mehr. Auch Rebellenvertreter sagten der Nachrichtenagentur Reuters, die Waffenruhe sei faktisch gescheitert. Am Wochenende waren bei einem US-geführten Luftangriff auf syrische Regierungstruppen Dutzende Soldaten getötet worden. Dies hatte zu Spannungen zwischen den USA und Russland geführt, die sich auf die Feuerpause verständigt hatten, um eine Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Hilfsgütern und Verhandlungen über einen dauerhaften Frieden zu ermöglichen. Vor dem für Dienstag geplanten Treffen der internationalen Syrien-Unterstützergruppe in New York warf die syrische Opposition der Weltgemeinschaft Versagen vor. "Die Welt begnügt sich damit, zuzusehen ohne einzuschreiten", sagte der Koordinator des oppositionellen Hohen Verhandlungskomitees (HNC), Riad Hijab, in New York.

Nach der Aufkündigung der Waffenruhe durch die syrische Armee gehe das Blutvergießen unvermindert weiter, klagte Hijab. "Russland und der Iran vergießen syrisches Blut, das Regime bombardiert Krankenhäuser, es wirft tausende Fassbomben und andere geächtete Bomben ab - und die Welt schaut zu." Die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats seien alle "vergeblich" gewesen. Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow wollten sich am Dienstag in New York mit anderen Mitgliedern der Unterstützergruppe für Syrien (ISSG) treffen.

Mit einem Außenministertreffen in New York will die Staatengemeinschaft versuchen, den massiv gebrochenen Waffenstillstand in Syrien doch noch zu retten. Auf Einladung von US-Außenminister John Kerry und Russlands Außenminister Sergej Lawrow kamen am Rande der UN-Vollversammlung am Dienstag Vertreter aus mehr als einem Dutzend Ländern zusammen.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich vor Beginn sehr enttäuscht über die neue Eskalation der Gewalt. "Innerhalb von wenigen Stunden ist alles zusammengebrochen. Wir werden überlegen müssen, ob es Wege gibt zurück in den verhandelten Waffenstillstand oder ob das schon aussichtslos geworden ist", sagte der SPD-Politiker. "Ich hoffe natürlich, dass es gelingt, die Eskalation zurückzuführen. Aber sicher kann ich mir zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sein."

Den Angriff auf einen Hilfskonvoi in der Nähe der umkämpften Stadt Aleppo bezeichnete er als "eine abscheuliche, eine terroristische Tat, die wir auf das Allerschärfste verurteilen".

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