Vor zwei Wochen entschied Rumänien sich für ein Duell zwischen einem Ultrarechten und einem Proeuropäer – und damit gegen den Regierungskandidaten.
Das EU-Land entscheidet heute, wer nächster Präsident wird. Die Kandidaten könnten kaum unterschiedlicher sein. Und doch verbindet ihre Wähler etwas: Der Wunsch, dass die Korruption endet und sich endlich jemand für sie einsetzt.
Zwei Männer in Anzug und Krawatte, einer vor hellem und einer vor dunklem Hintergrund. Ein gleichgültiger Blick ins Leere und ein etwas verkniffener Gesichtsausdruck. Es sind die immer gleichen beiden kleinen Plakate, die vor der Präsidentenwahl am heutigen Sonntag in rumänischen Ortschaften hängen. Und auch die nur vereinzelt. Sehr viel mehr ist nicht erlaubt, Geschenke etwa – in der Vergangenheit gab es Probleme mit Stimmenkäufen, Bestechung, Geldwäsche.
So ist in den Stadtbildern des Landes von der international mit Spannung erwarteten „Schicksalsentscheidung“ zwischen dem nationalistisch-populistischen Ultrarechten George Simion und dem bürgerlich-liberalen Proeuropäer Nicușor Dan wenige Tage davor nicht allzu viel zu spüren. Dafür muss man ins Fernsehen schauen. Oder in soziale Netzwerke, wo Simion mit seinen aggressiven Videos die Nase gegenüber dem ruhigen Mathematiker Dan deutlich vorne hat. Oder mit den Menschen reden.
Dan hat Bukarest sicher
Da sind etwa die Studentinnen Miruna und Brigitte, beide 21, die – auch das ist noch erlaubt – am Bukarester Bahnhof für Dan Flyer verteilen. Warum? „Wir wollen in der EU bleiben und weiterhin eine okzidentale Richtung verfolgen“, sagt Miruna. Dies sei die wahrscheinlich wichtigste Wahl seit dem Fall des Kommunismus. „Ein Präsident Simion würde uns mit seinen extremen Ansätzen in Europa schlecht dastehen lassen“, fügt Brigitte hinzu. Die beiden sehen Simion als Bedrohung – für Frauen, Grundrechte, Wirtschaft. „Die Vorstellung, dass er gewinnt, macht uns riesige Angst.“
Die Studentinnen Miruna (li.) und Brigitte aus Bukarest wünschen sich ein proeuropäisches Rumänien.
Was die Freundinnen erzählen, ist der Tenor unter den Hauptstädtern und Intellektuellen im Land. Dan ist Bukarester Bürgermeister, „seine“ Stadt hat er sicher.
Selbst jene Proeuropäer, die ihn nicht charismatisch genug für das Präsidentenamt finden, sehen keine andere Möglichkeit, als für ihn zu stimmen. Zu groß ist die Sorge, Simion könnte Rumänien zu einer Art zweitem Ungarn machen – was Blockaden in der EU angeht, aber etwa auch eine konservative Familienpolitik.
Zudem ist schwer einzuschätzen, was dem als irrational und impulsiv beschriebenen Simion tatsächlich alles vorschwebt. Vor einigen Jahren verfolgte er aktiv den Wunsch eines „Großrumäniens“ inklusive Moldau und Teilen der Ukraine. Darüber spricht er kaum noch. Er darf aber in beide Länder nicht einreisen. Außerdem hat sich der Kreml für ihn ausgesprochen. Und er ist Trump-Fan.
Wer einfacher Antworten auf die Frage finden will, wie Simion im ersten Durchgang vor zwei Wochen mit großem Vorsprung Erster werden konnte, muss das hektische Bukarest verlassen. In einem leeren Park im zwei Autostunden entfernten Călărași erzählt etwa der 68-jährige Gheorghe gern und ausführlich, warum er Simion wählt.
„Alles Diebe“
Noch bevor er zu sprechen beginnt, zieht der Pensionist etwas aus seiner Hosentasche. Rechnungen. „Ich gehe die später bezahlen, danach wird nicht viel Geld für diesen Monat übrig sein“, sagt er. Seine Pension beträgt nur 1.300 Lei, rund 250 Euro. Die Schuld daran sieht er in der Politik: „Alle, die das Land in den vergangenen Jahrzehnten regiert haben, sind korrupt. Sie haben enorme Pensionen. Das sind Diebe!“
Zu denen gehört für Gheorghe auch Dan. Simion hingegen, den er von der Videoplattform Tiktok kennt, komme ihm ehrlich vor. Er könne außerdem reden, während Dan „wie ein kleines Mädchen“ spreche. Rumänien brauche einen „starken Mann“. Einen, der sich für die Leute einsetze, die hart arbeiten würden.
Seine Tochter etwa habe Jus studiert. „Aber wenn man nicht zu gewissen Familien gehört, kriegt man keine guten Jobs. So funktioniert Rumänien einfach.“ Jetzt sei die Tochter Krankenschwester. Er selbst hat das Land nach dem EU-Beitritt für einige Jahre verlassen, um im europäischen Ausland Geld zu verdienen – wie zahlreiche andere das bis heute tun. Oft handelt es sich um jene körperlich anstrengenden Jobs, die sonst kaum jemand machen will.
Gheorghe glaubt, dass Simion sich für die hart arbeitenden Rumänen einsetzen würde.
Gheorghe war Erdbeerpflücker in Spanien. „Das war extrem anstrengend. Nicht mal Klopausen durften wir machen“, erinnert er sich. Seine Frau habe das Gleiche gemacht. Sie sei vor ein paar Jahren krank geworden und gestorben. „Wegen der schweren Arbeit und der Pestizide“, ist er überzeugt.
"Von der Leyen und Macron entscheiden, was mit uns passiert"
Wenn Gheorghe sagt, er wolle einen Präsidenten, der sich für Menschen wie ihn und seine Familie einsetze, meint er auch: gegenüber den anderen EU-Ländern, in denen so viele von ihnen arbeiten. Gheorghe schätzt die Union durchaus. „Aber sie respektieren uns nicht, halten uns klein. Von der Leyen und Macron entscheiden, was mit uns Rumänen passiert, ohne dass wir mitreden.“ Genau das sagt auch Simion: „Respekt“ ist sein Wahlkampfwort und darauf basiert ein großer Teil seines Erfolges.
Ein anderer hat gar nichts mit ihm zu tun. Sondern mit dem rechtsextremen Kremlfreund Călin Georgescu, der bei der später annullierten Präsidentenwahl im November unerwartet auf dem ersten Platz gelandet war und für die Wiederholung ausgeschlossen wurde, unter anderem wegen ausländischer Beeinflussung. Simion kam damals nur auf den vierten Platz. Er hat angekündigt, Georgescu zum Premier zu ernennen, sollte er es ins Präsidentenamt schaffen.
Aus Sicht der Dan-Wähler wäre das Wahnsinn. Für Simions Unterstützer – sie halten die Annullierung für nicht gerechtfertigt und von der Regierung komplottiert – ein mutiger Akt gegen die Mächtigen im Land. Gegen jene, die sich Einfluss und Geld aus ihrer Sicht seit jeher untereinander aufteilten. Sie meinen vor allem die Sozialdemokraten und die Nationalliberalen, die seit Langem regieren und tatsächlich mit Korruption und Faulheit auffallen.
Dabei ist es genau das, womit auch Dan überzeugt: Er gehört keiner der alten Machtparteien an, kandidiert als Unabhängiger. Sowohl Pensionist Gheorghe in Călărași als auch Studentin Miruna in Bukarest sagen über die zwei so unterschiedlichen Kandidaten, die sie heute wählen werden: „Er ist keiner vom System“.
Rumänien ist 2007 zusammen mit Bulgarien der EU beigetreten. Seitdem sind zahlreiche Menschen in andere europäische Länder ausgewandert, um zu arbeiten. Wie viele genau, ist schwer zu sagen. Schätzungen gehen aber jedenfalls von mehreren Millionen aus, bei einer Gesamtbevölkerung von über 18 Millionen Menschen.
Der Präsident vertritt Rumänien im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs – anders als etwa in Österreich, das vom Bundeskanzler vertreten wird. Damit kann er EU-Entscheidungen in gewissen Bereichen blockieren, etwa in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, so wie Ungarns Präsident Viktor Orbán es manchmal macht.
Die Prognosen sagen kurz vor der Wahl ein äußerst knappes Rennen zwischen Simion und Dan voraus.
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