Wahlduell in Rumänien: "Das ist eine Wahl zwischen Ost und West“

Romania's runoff presidential election campaign in Bucharest
Am Sonntag entscheidet sich, ob der ultrarechte Nationalist George Simion oder der proeuropäische Kandidat Nicușor Dan der nächste rumänische Präsident wird.

Wird er es oder wird er es nicht? Nicht nur in Rumänien, sondern auch in anderen EU-Staaten und wohl besonders in Brüssel blickt man diesen Sonntag gespannt auf die Geschehnisse in Bukarest. Dann entscheidet sich, ob der ultrarechte Nationalist George Simion nach der Stichwahl tatsächlich Präsident wird. 

Europapolitisch gesehen dürfte sich das Land an der Südostflanke der Gemeinschaft unter Simion von einem stabilen Partner zu einem blockierenden Sorgenkind à la Viktor Orbán entwickeln. Dazu kommt, dass er seit langer Zeit Fantasien eines „Großrumäniens” inklusive der Republik Moldau hegt und der Ukraine die Militärhilfen streichen will. In der ersten Runde erreichte Simion 40 Prozent.

Sein proeuropäischer Gegner, der ruhige Mathematiker und Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan hingegen zog mit 21 Prozent nur knapp vor dem Drittplatzierten in die Stichwahl ein. Nach dem ersten Durchgang deuteten die Umfragen klar auf einen Sieg Simions hin – Dan hielten viele ohnehin seit Langem für nicht charismatisch genug, um den Rechten zu schlagen. Und doch hat er in den Prognosen aufgeholt, die Kandidaten liegen wenige Tage vor der Wahl gleichauf. 

Politikwissenschaftler Cristian Preda von der Universität Bukarest erklärt, was diese Wahl für Rumänien bedeutet und welchen Ausgang er erwartet. 

KURIER: Der laute, rechte Nationalist George Simion gegen den gemäßigten Proeuropäer Nicușor Dan – warum sind die zwei Kandidaten in der Stichwahl derart unterschiedlich?

Cristian Preda: Weil die Sozialdemokraten und die Nationalliberalen seit vielen Jahren unbedingt an der Macht bleiben wollten und sich diverse Deals ausgemacht haben, die das ermöglichen sollten. Das hat vielen Menschen nicht gefallen. Die Hauptfrage im ersten Durchgang der Präsidentenwahlen war: Wollt ihr dieselben Parteien weiterhin an der Macht haben? Und die Leute haben „Nein“ gesagt. Sie haben den Kandidaten der Regierungskoalition, Crin Antonescu, abgelehnt. 

In gewisser Hinsicht hat diese Koalition den Nationalisten auch ganz direkt die Türen geöffnet. Die Regierung hat zum Beispiel immer gesagt, sie unterstütze die Ukraine. Aber wie genau, das hat sie geheim gehalten. Da war es für die Nationalisten einfach, alles Mögliche zu behaupten – etwa, dass Rumäniens finanzielle Unterstützung für ukrainische Kinder größer sei als für die eigenen. Was nicht stimmt, aber zu diesem Zeitpunkt konnte das nicht richtiggestellt werden, weil die echten Zahlen nicht bekannt waren.

Welche Rolle hat der letzte Präsident, der Nationalliberale Klaus Johannis, für diese Proteststimmen gespielt? 

Er trägt große Verantwortung dafür, weil er sehr faul war. Johannis war arrogant, hat wochenlange und luxuriöse Präsidentenreisen gemacht und kaum Interviews gegeben. Er hat viele seiner Wähler sehr enttäuscht. Sie waren einst sehr stolz darauf, ihn gewählt zu haben – für alles, was ihm von seinen Gegner vorgeworfen wurde: Er war einer aus der deutschen Minderheit, nicht orthodox, ohne Kinder.

Auch die EU ist Thema, wenn man mit den Menschen in Rumänien über ihre Wahlentscheidungen spricht – positiv wie negativ. 

Natürlich, diese Wahl ist eindeutig auch eine zwischen Ost und West. Nicușor Dan wird immer wieder als „liberal“ bezeichnet, obwohl er viel mehr konservativ als liberal eingestellt ist. Aber er ist proeuropäisch. Für George Simion hat sich der Kreml ausgesprochen. Seine Wähler streiten das in der Regel ab.

Und Simion wurde ja bekannt, als er während der Covid-Pandemie Anti-Impf-Stimmung schürte und sagte: „Impfen ist Gift, macht das nicht.“ Schon damals verbreitete sich die nationalistische Botschaft, die EU sei eine Diktatur. 

Ein bedeutender Punkt ist hier aber auch, dass mehrere Staaten den rumänischen Schengen-Beitritt blockiert haben, wobei es am Ende nur noch Österreich war. Die Reaktionen hier im Land darauf waren nationalistisch, anti-europäisch und vor allem sehr emotional – auch von der rumänischen Regierung, die nicht wirklich mit der österreichischen geredet hat. Mir wurde etwa vorgeworfen, ich sei ein Staatsverräter, als ich gesagt habe: „Bukarest und Wien sollten sich das untereinander ausmachen, das ist ein bilaterales Problem“. Die emotionale Rhetorik rund um diese Blockade hat den Eindruck verstärkt, nicht zu 100 Prozent als Europäer behandelt zu werden, und den Nationalisten bestimmt in die Hände gespielt. 

Bei den Rumänen in Österreich hat Simion in der ersten Runde 68 Prozent erreicht. Aber auch in anderen Ländern mit einer großen rumänischen Bevölkerung war er sehr stark. Warum? 

Einige von ihnen arbeiten im Niedriglohnsektor und sind frustriert. Dabei können sie überhaupt erst in Österreich, Deutschland, Italien etc. arbeiten und dort Geld verdienen, weil sie in der EU sind und diese Freiheit haben. Aber sie richten die Wut über ihre prekäre Situation gegen die EU.

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Cristian Preda

Hat das auch damit zu tun, wie sie in den jeweiligen Ländern behandelt werden?

Matteo Salvini in Italien, Marine LePen in Frankreich: Es waren diese Politiker, die vor und auch noch nach Rumäniens EU-Beitritt die lautesten Gegner der rumänischen Arbeiter in ihren Ländern waren, weil sie laut ihnen der eigenen Bevölkerung die Jobs wegnehmen würden. Das sind dieselben Politiker, die heute Simion unterstützten. 

Für wie aufgeheizt halten sie die Stimmung im Land, so kurz vor der Stichwahl? Ist Rumänien gespalten?

Ja. Die Stimmung ist sehr aufgeladen. Beide, Simion und Dan, haben radikale Unterstützer. Die einen sind nach Simions gutem Ergebnis in der ersten Runde sehr hoffnungsvoll. Die andere haben große Angst davor, dass Simion wirklich gewinnen könnte, halten diese Möglichkeit für eine Katastrophe.

Wie lautet ihre Prognose für Sonntag: Wer wird gewinnen?

Dan ist relativ spät eingestiegen und hatte nicht genug Zeit, sich vorzubereiten. Gerade in ländlichen Gegenden hat er deshalb Schwierigkeiten, zu überzeugen und die Probleme dort anzusprechen. Simion ist in diesen Regionen schon lange sehr präsent. 

Nichtsdestotrotz glaube ich, dass Dan gewinnen kann. Ich erwarte, dass die Wahlbeteiligung im Finale deutlich höher sein wird, wie es in Rumänien normalerweise der Fall ist. Diese Menschen, die nur beim zweiten Mal abstimmen, haben ein spezielles Profil – und sie haben sich bei vergangenen Wahlen immer für proeuropäische, gut gebildete Kandidaten ausgesprochen. Bleiben zu viele Wähler daheim, gewinnt Simion. 

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