Wahlen in Rumänien: "Südostflanke der EU könnte zusammenbrechen"

Der prorussische Kandidat Georgescu mischte die annullierte Wahl gewaltig auf. Er ist diesmal ausgeschlossen.
Als Rumänien im November zuletzt seinen Präsidenten wählten wollte, brach politisches Chaos aus. Der Rechtsextreme Călin Georgescu landete völlig überraschend auf dem ersten Platz. Auf Vorwürfe von ausländischem Einfluss und nicht deklarierter Wahlkampffinanzierung folgte eine umstrittene Annullierung des Durchgangs, nur Tage vor dem zweiten. Im März wurde Georgescu schließlich verboten, erneut zu kandidieren, was Krawalle auslöste.
Am heutigen Sonntag startet der zweite Versuch, die Karten sind neu gemischt. Aktuell sieht es danach aus, dass der ebenfalls ultrarechte George Simion den Einzug in die Stichwahl schaffen wird. Welche Rolle Österreich für seinen Erfolg spielen könnte, was sein Sieg für Europa bedeuten würde und inwiefern Georgescu diese Wahl trotz seines Ausschlusses noch immer mitprägt, erklärt Oliver Jens Schmitt, Osteuropa-Experte an der Universität Wien.
KURIER: Im Dezember wurde der erste Durchgang der rumänischen Präsidentenwahl annulliert, später der damalige Wahlsieger Georgescu von der nun stattfindenden Wiederholung ausgeschlossen. Fünf Monate an Untersuchungen später: Halten Sie diese Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs für gerechtfertigt und juristisch sauber?
Oliver Jens Schmitt: Erst einmal: Georgescu hat gelogen. Er hat behauptet, keine Wahlkampfausgaben gehabt zu haben. Mittlerweile ist nachgewiesen, dass seine massive TikTok-Präsenz durch riesige Geldflüsse ermöglicht wurde.
Zweitens hat er als russischer Einflussagent agiert. Die Verunsicherung diesbezüglich war so groß, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wohl richtig und notwendig war – politisch gesehen. Wie das juristisch zu beurteilen ist, darüber wird weiterhin kontrovers diskutiert.
In der Bevölkerung herrscht auch nach wie vor Unmut über Annullierung und Ausschluss. Was hat das Polit-Chaos mit der rumänischen Gesellschaft und Demokratie gemacht?
Viele haben Georgescu aus Protest gegen die regierenden Altparteien gewählt, die mit politischen Intrigen und vor allem Korruption zuvor für Verärgerung gesorgt hatten. Manche dieser Wähler sprechen jetzt von einem Staatsstreich und sind teilweise gewalttätig demonstrieren gegangen.
Allgemein ist die Stimmung im Land eine Mischung aus Wut, Angst und Desorientierung. Die Mehrheit der Bevölkerung fragt sich, welchen Politikern und Institutionen sie noch trauen kann. Rumänien erlebt gerade eine wirklich schwere Staatskrise.
Oliver Jens Schmitt ist seit 2005 Professor für Geschichte Südosteuropas an der Universität Wien. Er gilt als einer der besten Kenner der Sozial- und Kulturgeschichte Osteuropas.
Was bedeutet das für Europa?
Rumänien ist das wichtigste NATO- und EU-Land in Südosteuropa. Und es droht, in eine geostrategische Grauzone mit immer mehr russischem Einfluss zu geraten. Auch wenn Georgescu jetzt nicht mehr antritt: Es war ein enormer Erfolg für Moskau, ein so großes EU-Land derart destabilisieren zu können. Die EU und ihre Bevölkerung selbst sind hierbei auch ein Faktor.
Es gibt kein EU-Land, aus dem mehr Menschen ausgewandert sind als aus Rumänien. Das ist ein großes Problem, das Wut auslöst. Dabei geht es aber nicht nur um die wirtschaftliche Situation. Sondern auch um Identität: Viele Menschen, gerade die Auslandsrumänen, fühlen sich nicht ausreichend anerkannt – von Brüssel, aber auch von den jeweiligen westeuropäischen Ländern, in denen sie arbeiten und/oder leben. Sie haben, auch durch eine gewisse Gleichgültigkeit führender Politiker, den Eindruck, wie Europäer zweiter Klasse behandelt zu werden.
Auch in Österreich?
Ja, Österreich hat sogar einen speziellen Beitrag zu dieser Entfremdung geleistet. Hierzulande arbeiten viele Rumänen, etwa in der Pflege. Unsere Politiker halten es in der Regel aber nicht für notwendig, sich positiv über sie zu äußern. Das merken diese Menschen.
Dazu kommen österreichische Firmen, die in Rumänien mithilfe korrupter Behörden in Naturschutzgebieten abholzen. Und als die österreichische Regierung aus innenpolitischem Kalkül heraus dann auch noch den rumänischen Schengen-Beitritt über lange Zeit blockiert hat, hat das für diese massive politische Verschiebung in Rumänien definitiv eine Rolle gespielt.
All das führt zu Frustration. Die Rechtsextremen wissen diese zu adressieren – mit einer Sprache, die die Menschen noch aus dem Nationalkommunismus kennen. Der Wahlkampfslogan von Simion ist ein einziges Wort: „Respekt“. Das ergibt eine gefährliche Verbindung. Es erklärt, warum die Hälfte aller wählenden Rumänen in Österreich für Georgescu gestimmt haben.
Sprechen wir über den aktuellen Wahlkampf. Georgescu ist zwar kein Kandidat mehr, welche Rolle spielt er für diesen Urnengang dennoch noch?
Es ist davon auszugehen, dass Moskau Georgescu signalisiert hat, sich zurückzuziehen. Die Ultrarechte steht jetzt mehrheitlich hinter George Simion, weshalb wohl viele Georgescu-Wähler zu ihm überlaufen werden und er voraussichtlich am Sonntag auf dem ersten Platz landen wird. Umfragen gehen von 30 Prozent aus. Die große Frage ist, ob sein Wählerpotenzial damit erschöpft ist oder er in der zweiten Runde eine Mehrheit hinter sich bringen kann.
Dem Ultrarechten George Simion werden im ersten Wahldurchgang um die 30 Prozent zugesagt. Der Kandidat der Regierungskoalition Crin Antonescu könnte 24 Prozent erreichen, der Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan 22. Ex-Premier Victor Ponta kommt in den Umfragen auf 10 Prozent, die Konservative Elena Lasconi – sie landete beim letzten Mal auf dem zweiten Platz – auf 7.
Bei der Wahl im November lagen die Prognosen völlig falsch, sie sahen den Sieg von Georgescu nicht kommen.
Simion hat sich zwar nicht wie Georgescu offen für den Faschismus und den Kreml ausgesprochen, doch auch er verfolgt prorussische Agenden. Er hat ein Einreiseverbot in Moldau und der Ukraine. Die Ukraine-Hilfen, bei denen Rumänien überaus wichtig ist, will er einstellen. Wird er Präsident, könnte zusammen mit der Slowakei und Ungarn – direkt neben Österreich – ein offen anti-europäischer Länderblock entstehen. Die Südostflanke der EU würde quasi zusammenbrechen und die Region mit Hinblick auf die Bedrohung durch Russland zu einer Zone der Unsicherheit werden. Deshalb ist diese Wahl so unglaublich wichtig.
Mit wem, glauben Sie, könnte Simion es in der Stichwahl zu tun haben?
Das ist aktuell sehr schwer zu sagen. Der bürgerlich-liberale Bukarester Bürgermeister, Nicușor Dan, hat in den Umfragen lange gut abgeschnitten. Das proeuropäische Lager ist aber gespalten. Und Dan kommt zwar bei gebildeten Städtern gut an, wird sich aber schwertun, im ländlichen Raum groß zu mobilisieren.
Regierungskandidat Crin Antonescu ist formal proeuropäisch. Sein Lager will aber keine echten Systemveränderungen und ist zutiefst korrupt. Überraschend, aber am katastrophalsten, wäre es, wenn Ex-Premier Victor Ponta den Einzug schafft, dann wären zwei Anti-Europäer und prorussische Kandidaten in der Auswahl.
Simion und ganz besonders Ponta geben sich als Fans von Donald Trump. Dessen Vize J.D. Vance hat schon bei der Münchner Sicherheitskonferenz für Irritation gesorgt, indem er die Wahl-Annullierung in Rumänien kritisiert hat. Und diese Woche, so kurz vor der Wahl, hat zudem noch Trumps Sohn Donald Jr. Bukarest besucht. Inwiefern mischen die USA bei diesen Wahlen mit, und warum?
Trump und seine Akteure haben die EU zu ihrem Gegner erklärt. Sie haben wie Russland erkannt, dass von den größeren Mitgliedsstaaten der Union keines so verletzlich wie Rumänien ist. Deshalb greifen die USA dort ein, um die EU zu schwächen.
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