Risse in der EU, aber einig bei Brexit

EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Streit über Migrationspolitik und Währungsunion überlagert Treffen der Staats- und Regierungschefs.

Fast wäre es ein Gipfel der Erfolge geworden – das letzte Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs dieses Jahres; und das allerletzte für Österreichs demnächst abtretenden Kanzler Christian Kern. Zwei Meilensteine galt es gestern und heute in Brüssel zu feiern: Den Abschluss der ersten, schwierigen Brexit-Verhandlungsrunde. Damit ist der Weg für Verhandlungen über ein Abkommen der künftigen Zusammenarbeit zwischen London und der EU frei. Und zufriedenes Schulterklopfen gab es auch für der Start einer intensiven militärischen Zusammenarbeit (PESCO), wie sie in der EU nie zuvor möglich war.

Der tiefe Graben

Doch beim Abendessen der Staats- und Regierungschefs war er am Donnerstag plötzlich wieder da – der Graben zwischen Ost- und Westeuropa, unübersehbar besonders im Streit über die Flüchtlingspolitik. Schon beim Eintreffen der Spitzenpolitiker hätten die Auffassungen darüber nicht weiter auseinanderlaufen können, wie die Migrationskrise zu lösen ist: "Wir brauchen Solidarität", sagte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel mit Blick auf den erbitterten Widerstand einiger osteuropäischer EU-Staaten, Flüchtlinge nach dem EU-Quotensystem aufzunehmen. "Denn eine solch selektive Solidarität kann es nach meiner Auffassung unter europäischen Mitgliedstaaten nicht geben."

Kanzler Kern stellte sich hinter Merkels Linie: "Entweder wir lösen dieses Problem gemeinsam, oder es ist unlösbar", sagte er.

Genau den gegenteiligen Standpunkt hatte zuvor EU-Ratspräsident Donald Tusk eingenommen und damit den schwelenden Streit in der EU von Neuem angefacht. Das vereinbarte System der Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten funktioniere nicht, hatte Tusk kritisiert. Zu debattieren sei deshalb, ob nicht neue Lösungen gesucht werden müssten – ohne verpflichtende Quoten.

Bei Ungarn, Polen und Tschechien, die sich konsequent weigern, auch nur einen einzigen der 120.000 aufzuteilenden Flüchtlinge aufzunehmen, rannte Tusk hingegen offene Türen ein. "Die Europäische Nummer eins hat endlich die Wahrheit gesagt, die verpflichtende Umverteilung von Flüchtlingen ist unwirksam und spaltend," pflichtete Ungarns Außenminister Peter Szijjarto am Donnerstag Tusk bei.

Nord versus Süd

Beschlüsse oder auch nur eine neue Wegrichtung der künftigen EU-Flüchtlingspolitik wurden vom gestrigen Treffen allerdings nicht erwartet. Ebenso wenig in der zweiten großen Streitfrage, bei der sich durch die EU tiefe Risse ziehen: der Reform der Europäischen Währungsunion. Hier verlaufen die Fronten zwischen dem reichen Norden Europas, der jegliche Form von Schuldenvergemeinschaftung oder zunehmende Transferleistungen ablehnt, und dem Süden der Union. Zudem legte die Kommission jüngst ihre Reformpläne vor, was wiederum in Deutschland übel aufstieß. Berlin sah sich ausgebremst und stellte klar: Bei der Währungsunion wird Deutschland neben Frankreich maßgeblich den Ton angeben. Aber dafür werde die Kommission noch zu warten haben, bis in Berlin wieder eine handlungsfähige Regierung sitzt.

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