Balkanroute: Endstation Belgrad

Ein Ölfass dient als Dusche
1000 Flüchtlinge hausen bei Minusgraden, ohne Strom und Wasser, in Baracken hinter dem Bahnhof.

Ahmad hockt auf dem gefrorenen Boden. Mit nackten Füßen lose in die Schuhe geschlüpft, die nasse Jogginghose klebt an seiner Haut. Mit beiden Händen seift der 18-jährige Pakistani seinen Oberkörper ein und schrubbt. Er schrubbt seine Arme. Er schrubbt seine Ohren. Er schrubbt sein Gesicht – es ist schwarz vom Ruß.

Balkanroute: Endstation Belgrad

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Balkanroute: Endstation Belgrad

Minus drei Grad hat es an diesem Morgen in Belgrad. In den Baracken und einstigen Lagerhallen hinter dem Bus-Bahnhof der serbischen Hauptstadt leben derzeit etwa 1000 Flüchtlinge unter widrigsten Umständen. Es gibt kein fließendes Wasser, keinen Strom. Weil es auch keine Toiletten gibt, verrichten die Flüchtlinge ihre Notdurft hinter den Hallen. Und weil es keine Duschen gibt, haben sie mit Ziegelsteinen und Holzpflöcken eine Feuerstelle eingerichtet. Auf die Ziegel haben sie ein altes, leeres Öl-Fass gestellt; über ein dünnes Rohr aus dem Boden fließt Wasser in das Fass und wird erhitzt. Als Ahmad seine Haare eingeseift hat, holt er einen Freund zu Hilfe. Mit einer Wasserflasche, deren Hals abgeschnitten ist, schöpft der Freund Wasser aus dem verrußten Ölfass und leert es Ahmad über den Kopf. Immer und immer wieder. Bis die Seife aus seinem Haar gewaschen ist.

Balkanroute: Endstation Belgrad

Zwischenstation

Es sind ausschließlich Männer, die hinter dem Belgrader Bahnhof ihr Dasein fristen. Die meisten von ihnen kommen aus Afghanistan und Pakistan. Viele haben schon vor Monaten die Flucht aus ihren Heimatländern angetreten. Sie haben Schlepper bezahlt, um in Mitteleuropa ein besseres Leben zu beginnen und stecken fest im letzten Land vor der EU-Außengrenze. Die Männer wollen weiter: nach Frankreich, England, Belgien und auch Österreich. Deutschland ist nur noch von wenigen das Ziel – es hat sich herumgesprochen, dass auch von dort längst Menschen zurück in ihre Heimatländer geschickt werden.

Serbien ist eine Zwischenstation für sie, wenn auch eine längerfristige.

Schon seit dem Sommer halten sich immer wieder Flüchtlinge hinter dem Busbahnhof auf. Sie schlafen auf leeren Parkplätzen, in Parks und in den ehemaligen Lagerhallen hinter dem Bahnhof. Seit der Winter Einzug gehalten hat, hat das alte Problem eine neue Dimension erreicht.

"Wir sind hilflos", sagt der 16-jährige Rajeed aus Afghanistan. Vier Monate schon haust er in der ersten Lagerhalle. Seinen Schlafplatz hat er mit Holzpflöcken begrenzt. Sie liegen haufenweise in den Wiesen hinter den Baracken. Rajeed trägt Turnschuhe und keine Socken. Die Decke, in die er gewickelt ist, zieht er sich über den Kopf. Er hustet stark, wie viele hier. Weil es so kalt ist, zünden die Männer Lagerfeuer an – auch in den Hallen. Dort ist es so verraucht, dass den Männern das Atmen schwerfällt. "Warum will Europa uns nicht helfen?", fragt Rajeed.

Seit die Balkan-Route geschlossen ist, kommen zwar weniger Flüchtlinge in Mitteleuropa an, unterwegs sind aber immer noch Tausende. Insgesamt leben derzeit 7300 Geflüchtete in Serbien. 6000 davon in organisierten Unterkünften, etwa 1000 halten sich rund um den Bahnhof auf. "Und es kommen täglich neue Flüchtlinge in Serbien an", sagt Hans Friedrich Schodder, Repräsentant des UN-Flüchtlingskommissariats in Serbien. Wie viele es genau sind, kann Schodder nicht sagen.

Haltestelle

Für viele Flüchtlinge ist an der serbisch-ungarischen Grenze Schluss. Wer es nicht beim ersten Versuch in die EU schafft, geht zurück in die Baracken hinter dem Belgrader Bahnhof. Von dort fahren sie immer wieder mit Schleppern an die Grenze.

Balkanroute: Endstation Belgrad

Auch Nasarkhan hat es schon mehrmals probiert. Der 19-jährige Afghane lebt mit elf anderen jungen Männern in einer Baracke etwa 100 Meter hinter den Lagerhallen. Den kleinen Ofen im Haus heizen sie mit Zigarettenschachteln und Schuhkartons. Nasarkhan wurde schon in Bulgarien registriert; er will trotzdem den Weg nach Belgien auf sich nehmen. Dort lebt sein Bruder. „Ich will ein friedvolles Leben, aber ich komme hier nicht weg“, sagt Nasarkhan. Er habe nichts zu tun und kaum zu essen.

Tatsächlich bringen nur noch zwei NGOs täglich Essen hinter den Bahnhof. Das UNHCR trifft „lebensrettende Maßnahmen“ und Ärzte ohne Grenzen haben Zelte als Schlafplatz für die Kinder eingerichtet. Aber die meisten anderen NGOs, etwa die serbische Caritas, haben sich bereits zurückgezogen.

Grund dafür ist ein Übereinkommen mit der serbischen Regierung: Die Flüchtlinge sollen vom Bahnhof in staatliche Asylquartiere gebracht werden. Und so lange geholfen wird, werde das verzögert. Doch viele Flüchtlinge wollen nicht in Camps: Denn wer registriert wird, hat laut Dublin-Verordnung nur in Serbien die Chance auf Asyl. Und in Serbien bleiben, das will so gut wie niemand.

"Was soll ich hier?", sagt Rajeed. "Mein Leben hier ist scheiße."

Für viele Flüchtlinge ist an der serbisch-ungarischen Grenze Schluss. Wer es nicht beim ersten Versuch in die EU schafft, geht zurück in die Baracken hinter dem Belgrader Bahnhof. Von dort fahren sie immer wieder mit Schleppern an die Grenze. Auch Nasarkhan hat es schon mehrmals probiert. Der 19-jährige Afghane lebt mit elf anderen jungen Männern in einer Baracke etwa 100 Meter hinter den Lagerhallen. Den kleinen Ofen im Haus heizen sie mit Zigarettenschachteln und Schuhkartons. Nasarkhan wurde schon in Bulgarien registriert; er will trotzdem den Weg nach Belgien auf sich nehmen. Dort lebt sein Bruder. „Ich will ein friedvolles Leben, aber ich komme hier nicht weg“, sagt Nasarkhan. Er habe nichts zu tun und kaum zu essen. Tatsächlich bringen nur noch zwei NGOs täglich Essen hinter den Bahnhof. Das UNHCR trifft „lebensrettende Maßnahmen“ und Ärzte ohne Grenzen haben Zelte als Schlafplatz für die Kinder eingerichtet. Aber die meisten anderen NGOs, etwa die serbische Caritas, haben sich bereits zurückgezogen. Grund dafür ist ein Übereinkommen mit der serbischen Regierung: Die Flüchtlinge sollen vom Bahnhof in staatliche Asylquartiere gebracht werden. Und so lange geholfen wird, werde das verzögert. Doch viele Flüchtlinge wollen nicht in Camps: Denn wer registriert wird, hat laut Dublin-Verordnung nur in Serbien die Chance auf Asyl. Und in Serbien bleiben, das will so gut wie niemand. „Was soll ich hier?“, sagt Rajeed. „Mein Leben hier ist scheiße.“

KURIER: Herr Schodder, können Sie uns zunächst einen Überblick über Situation für Flüchtlinge in Serbien geben?

Hans Friedrich Schodder: 85 Prozent der Migranten sind in Lagern der Regierung untergebracht und haben eine angemessene Unterkunft. Was wir jetzt hinter der Eisenbahnstation sehen, ist eine kleinere Anzahl von denen, die noch eine Unterbringung brauchen. Wir sind dabei – gemeinsam mit anderen humanitären Organisationen – dort zu helfen, Vertrauen aufzubauen. Wir unterstützen auch die Regierung, die Unterbringungskapazitäten weiter zu erhöhen. Im letzten Monat hat UNHCR alleine mehr als 1000 Flüchtlinge aus Belgrad in Lager transportiert. Vergangenen Mittwoch waren es 200. Wir haben sichergestellt, dass sie auch registriert werden.

Balkanroute: Endstation Belgrad

Viele wollen das aber nicht oder sind schon in anderen Ländern registriert worden. Was macht man mit jenen, die nicht vom Bahnhof weg wollen, weil sie weiterreisen möchten?

Ich glaube schon, dass sich alle in eine besser Unterkunft verlegen lassen. Die Flüchtlinge, die untergebracht wurden, sind ja auch im Kontakt mit ihren Freunden und wir hoffen doch, dass alle zustimmen werden, in eine bessere Unterkunft zu ziehen.

Das UNHCR hilft am Bahnhof noch, viele andere NGOs, wie etwa die Caritas Serbien, nicht mehr. Das sei mit der Regierung so ausgemacht.

Selbstverständlich muss Hilfe, die lebenswichtig ist, überall gegeben werden. Gerade jetzt, unter diesen schwierigen Wetterbedingungen, haben die Behörden keine Einwände dort Hilfe zu leisten. Wir sind auch nicht der Meinung, dass lebensrettende Hilfe einen Pull-Faktor darstellt. Ganz wichtig ist, dass die Behörden, die NGOs und die UNO eng zusammenarbeiten und der Regierung helfen, Lösungen zu schaffen und diese Lösungen so an die Flüchtlinge und Migranten kommunizieren, dass sie die auch annehmen.

Wie lange wollen Sie sich dafür Zeit lassen?

Wir werden so lange weitermachen, bis keiner mehr dort leben muss. Wie schnell das gehen wird, ist schwierig zu sagen. Das hängt von den Menschen dort ab, aber auch von den Transport- und Lagerkapazitäten und davon, wie viele neue Flüchtlinge täglich ankommen.

Wie viele sind das in Serbien?

Das wissen wir nicht genau. Wir denken, dass die Zahl unter diesen Wetterbedingungen etwas heruntergegangen ist, aber leider kommen weiter Menschen an und viele von denen in sehr schlechtem Zustand, mit Erfrierungen etwa, die sie sich in den Grenzregionen zugezogen haben. Sie sind ja in den Händen von Schmugglern und setzen sich großen Gefahren aus, wenn sie versuchen, jetzt die grüne Grenze zu überschreiten. Das Grenzgebiet zwischen Mazedonien und Bulgarien ist sehr bergig und bewaldet.

Was ist derzeit die größte Herausforderung für den UNHCR?

Die Situation an der Grenze zu Ungarn ist gerade ein wenig entschärft. Die Regierung hat angeboten, Flüchtlinge auch von dort in bessere Unterkünfte zu bringen. Die Situation in Belgrad ist sicher besorgniserregend, aber lösbar. Die größte Gefahr besteht sicher in den unwegsamen Grenzregionen, wenn die Menschen sich in den Wäldern verlaufen. Tod durch Erfrieren, Hungern, Verdursten, das ist wahrscheinlich die größte Gefahr.

Herr Tot, wie beurteilen Sie die Situation der Flüchtlinge hinter dem Busbahnhof in Belgrad?

Die Menschen hinter dem Bahnhof sind dort seit Monaten. Seit sie dort sind, hat Serbien mehrere Asylquartiere geöffnet, überall im Land. Sie hatten die Möglichkeit, in eines dieser Center zu gehen. Aber sie wollen nicht. Als Ausrede sagen sie, dass die Zentren voll sind. Fakt ist aber, dass das Zentrum in Belgrad voll ist, Krnjača. Aber nicht jeder kann in Belgrad bleiben oder nahe der Grenze zu Ungarn.

Aber die Menschen hinter dem Bahnhof wollen nicht in den Süden. Sie wollen weiterkommen, in die EU.

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Darko Tot, Caritas Serbien,

Diese Menschen sind komplett illegal hier. Sie wollen nicht registriert werden. Aber sobald sie registriert sind, wird ihnen ein Platz in der Unterkunft angeboten, wo Platz ist.

Die Caritas hilft den Menschen hinter dem Bahnhof nicht mehr. Warum?

Wir haben die Menschen in Belgrad monatelang unterstützt. Von 2015 bis November 2016. Wir haben Frühstück zur Verfügung gestellt, Suppe, Kleidung, Hygiene-Pakete. Ein Jahr lang. Aber plötzlich gab es eine Diskussion zwischen den Behörden und Hilfsorganisationen: Was ist die Message, die wir geben, wenn wir diese Menschen, die draußen bleiben wollen, weiterhin unterstützen? Das ist im Sommer, im Frühling und im Herbst in Ordnung. Aber sie jetzt zu unterstützen, wird sie darin bestärken, nicht in offizielle Quartiere zu geben. Und die Unterbringung in den offiziellen Zentren kostet eine Menge. Das was Serbien an finanziellen Unterstützung, etwa von der EU bekommt, reicht nicht aus. NGOs sind also ein großer Stakeholder, um Unterstützung in den Asylzentren zu gewährleisten. Wir wollen den Menschen, die draußen sind, wirklich helfen. Aber wir wissen, wenn wir auch nur eine Suppe pro Tag für sie zubereiten – wird es keine Lösung geben. Was sie brauchen, ist Obdach. Wir können nicht medizinische Versorgung und Schutz vor Hautkrankheiten in solchen Unterbringungen gewähren.

Was macht die Caritas für jene 6000 Menschen in den offiziellen Asylzentren?

Die Caritas versorgt 3600 Personen täglich mit Frühstück und 1800 mit Suppen oder einer warmen Mahlzeit. Zusätzlich versorgen wir sie mit Hygiene-Produkten, Kleidung, Unterwäsche, einem Wäsche-Service und psychosozialen Teams.

Hat die Regierung Druck auf die NGOs ausgeübt, die am Bahnhof geholfen haben?

Es war eine strategische Entscheidung zu sagen: So lange wir Assistenz gewähren außerhalb der Asylzentren, beeinflusst das die Entscheidung der Menschen, nicht in die Zentren zu gehen. Wir haben mehr Verantwortung für die Menschen, die akzeptiert haben, ein Teil des Systems zu sein.

Rund um den Bahnhof sind immer wieder Schlepper.

In Serbien sind die Flüchtlinge nur einen Schritt entfernt von der EU. Sie sind konfrontiert mit geschlossenen Grenzen, die sie auf legalem Wege nicht überschreiten können. Die meisten Flüchtlinge, die jetzt in Serbien sind, habe keine Möglichkeit, legal weiterzukommen. Sie können hier bleiben, nach tausenden Kilometern auf der Flucht, oder sie können einen Weg finden, weiterzukommen. Und weiterzukommen heißt: Illegal weiterzukommen. Die Schmuggler sind die ersten, die die Falschinformationen verbreiten, etwa über die überfüllten Asylzentren.

Aber die offiziellen Camps sind doch tatsächlich ziemlich überfüllt.

Ja, die sind alle voll, aber die Menschen werden dort trotzdem aufgenommen. Niemand von jenen, die jetzt draußen sind, wird abgelehnt werden.

Aber viele wollen nicht in die Camps gehen. Was ist also die Lösung für das Problem?

Wenn der Staat respektiert, dass diese Menschen hinter dem Bahnhof bleiben, dann ist das deren Entscheidung. Aus österreichischer und deutsche Perspektive ist die Balkanroute geschlossen, weil keine Menschen mehr kommen. Aber die Menschen kommen und sie kommen nach Serbien. Die Flüchtlinge stecken hier fest. Ihnen Unterstützung zu geben, kostet dem Staat, den NGOs Geld. Die Lösung für diese Menschen könnte entweder sein, in der EU akzeptiert zu werden oder zurück in ihre Herkunftsländer zu gehen. Denn hier bleiben wollen sie nicht. Egal wie viel Unterstützung sie bekommen. Serbien ist ein armes Land, mit schwieriger Sprache, und wenn sie hier arbeiten würden, dann würden sie nur wenig verdienen. Das ist nicht ihr Traum. Sie wollen weg, aber sie können nicht. Also warten sie auf Schmuggler. Das ist die Situation. Serbien ist für sie ein Zwischenstopp, mehr nicht.

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