Renzi scheitert mit Verfassungsreform und geht - Grillo will Neuwahlen

Premier Matteo Renzi scheitert mit seinem Verfassungsreferendum. Italien schlittert in Regierungskrise. Börsen reagieren besonnen.

"Ich habe verloren", erklärte Matteo Renzi bei einer Pressekonferenz in seinem Amtssitz in Rom. Der italienische Ministerpräsident ist über ein Referendum gestolpert. Die große Mehrheit der Italiener lehnte Renzis Verfassungsreform am Sonntag ab. Der sozialdemokratische Regierungschef zog in der Nacht auf Montag die Konsequenzen und kündigte seinen Rücktritt an.

Deutliche Niederlage

Er werde am Montag Staatspräsident Sergio Matarella sein Rücktrittsgesuch überreichen, kündigte der Premier an. Laut Hochrechnung nach Auszählung von rund der Hälfte der Wahlkreise stimmten knapp 60 Prozent der Italiener gegen die von Renzi seit Monaten beworbene Reform. Nur rund 40 Prozent stimmten für die "Mutter aller Reformen", wie Renzi die größte Verfassungsreform seit 1946 bezeichnet hatte.

Renzi wollte Blockaden im Parlament beenden

Ziel der Reform war er den Senat als gleichberechtigte zweite Parlamentskammer zu entmachten und dadurch die Regierbarkeit des Landes zu erleichtern. Bisher waren Abgeordnetenhaus und Senat gleichberechtigt und blockierten sich oft gegenseitig. Seit 1946 gab es in Italien bereits mehr als 60 Regierungen. Renzi hatte im Wahlkampf seine politische Zukunft mit dem Ausgang des Referendums verknüpft.

"Wir haben es nicht geschafft die Mehrheit der Italiener zu überzeugen", erklärte Renzi in der Nacht auf Montag. Er übernehme die volle Verantwortung dafür. Das Referendum bezeichnete Renzi jedoch wegen der hohen Wahlbeteiligung als "Fest der Demokratie".

Hohe Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung bei dem Verfassungsreferendum, zu dem 47 Millionen Italiener aufgerufen waren, war unerwartet hoch. Laut Innenministeriums hatten mehr als 68 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimmen abgegeben. Die Wahlbeteiligung unter den vier Millionen Auslandsitalienern lag bei 30,8 Prozent. Für die Gültigkeit des Referendums war kein Beteiligungsquorum nötig, da es um eine Bestätigung einer vom Parlament gebilligten Verfassungsreform ging.

"Wer für ein Ideal kämpft, kann nicht verlieren", sagte Renzi. "Ich bin stolz über das Italien, das an die Politik glaubt", sagte Renzi. Er dankte seiner Frau Agnese und seinen Kindern für ihre Unterstützung. "Jetzt beginnt für mich die Zeit, mich wieder auf den Weg zu machen. Es lebe Italien, viel Glück für uns alle", so Renzi.

Finanzmärkte bleiben ruhig

Auf den Finanzmärkten ist das von einigen Experten erwartete Beben nach dem Scheitern der Verfassungsreform in Italien bis dato ausgeblieben. Der Euro sowie die Aktienmärkte in Asien verloren zwar und auch der Dax sowie der EuroStoxx 50 werden mit Verlusten zum Handelsstart am Montag erwartet. Jedoch lagen die Abschläge bei jeweils unter einem Prozent. Alles in allem fiel die Reaktion an den Finanzmärkten deutlich verhaltener aus als zum Beispiel bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November oder dem Brexit-Votum in Großbritannien im Juni.

Gegner wie Grillo fordern Neuwahlen

Die Gegner Renzi feierten die Niederlage Renzis. Sofort nach Veröffentlichung der Nachwahlbefragungen wurde der Rücktritt Renzis gefordert.

Der Chef der europakritischen Protestbewegung "Fünf Sterne", Beppe Grillo, feiert den Sieg des "Nein". Grillo drängte laut Medienangaben auf Neuwahlen. "Adieu Renzi! Die Italiener sollen jetzt so rasch wie möglich wählen", sagte Grillo. Er plane eine Online-Diskussion unter den Anhängern seiner Bewegung über ein Wahlprogramm. Die populistische Partei könnte laut Umfragen mit über 30 Prozent der Wählerstimmen zur stärksten Einzelpartei avancieren.

"In Italien hat der Rexit begonnen", erklärte der Fraktionschef der oppositionellen Forza Italia, Maurizio Gasparri. Die Partei um Ex-Premier Silvio Berlusconi bezeichnete das Referendum als "großen Sieg der Demokratie". "Game over für Renzi!", twitterte der Fraktionschef der Forza Italia.

Der Chef der ausländerfeindlichen Oppositionspartei Lega Nord, Matteo Salvini, forderte sofortige Neuwahlen. "Die Italiener haben bewiesen, dass sie mit Renzi Schluss machen wollen. Sie sind ein Volk, das sich nicht mit Drohungen seitens der Bankiers und der Finanz einschüchtern lässt", so Salvini.

Zufrieden zeigte sich auch die Chefin der Rechtspartei "Fratelli d'Italia", Giorgia Meloni. "Die Italiener lassen sich nicht für ein paar Groschen kaufen", so Meloni in Anspielung auf die Wahlversprechen Renzis im Wahlkampf.

Le Pen jubelt

Die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen jubelte ebenfalls über den Ausgang des Referendum. "Bravo an unseren Freund @matteosalvinimi für diesen Sieg", twitterte sie am späten Sonntagabend. Matteo Salvini ist Parteichef der rechtspopulistischen Lega Nord, die die Verfassungsreform bekämpft hatte. Zuvor schrieb sie bereits: "Die Italiener haben die EU und Renzi verurteilt. Man muss diesem Durst der Nationen nach Freiheit und Schutz zuhören."

Renzi scheitert mit Verfassungsreform und geht - Grillo will Neuwahlen
Referendum ballots are seen at a polling station in Milan, Italy, December 4, 2016. REUTERS/Alessandro Garofalo
1. Eine Verfassungsänderung wird seit 30 Jahren diskutiert.

2. Die Reform wurde bereits vom Senat und der Abgeordnetenkammer abgenickt.

3. Sie soll ein in Europa einzigartiges System mit zwei gleichberechtigten Parlamentskammern abschaffen ("perfekter Bikameralismus").

4. 47 Paragrafen sollen geändert werden.

5. Der Senat soll von 315 auf 100 Mitglieder schrumpfen und ehrenamtlich arbeiten.

6. Das Volk soll die Senatoren nicht mehr direkt wählen können, nur noch die Abgeordnetenkammer.

7. Die Senatoren sollen nicht mehr über alle Gesetze abstimmen können, nur noch über Verfassungs- und EU-Fragen.

8. Nur die Abgeordneten sollen der Regierung das Vertrauen entziehen können.

9. Die Rechte der Regionen sollen beschnitten werden und der Staat künftig über Angelegenheiten wie Tourismus, Kulturgüter und Zivilschutz entscheiden.

10. Mit der Reform soll der Staat 500 Millionen Euro sparen. Kritiker sprechen von maximal 100 bis 160 Millionen.

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