Rekordinfektionszahlen: Corona-Lawine wälzt sich über Belgien

Brüssel: Alle Restaurants, Bars, Kaffehäuser sind wieder geschlossen
17.709 Neuinfektionen in den vergangenen 24 Stunden, Spitäler vor dem Kollaps, ein Lockdown, der nur nicht so heißt - Belgien wird der Corona-Lage nicht mehr Herr.

Belgien hat Tschechien auf dem traurigen Platz des Rekordhalters bei den Corona-Neuionfektionen abgelöst. 17.709 neue Infektionen wurden in den vergangenen 24 Stunden registriert - und wie Virologen erwarten, werden die Zahlen trotz der zuletzt ergriffenen Maßnahmen weiter steigen.

Kommende Woche könnten die Zahlen auf bis zu 20.000 Neuinfektionen pro Tag hochschnellen, und das bei einer Bevölkerung von rund elf Millionen Menschen. Dabei werden derzeit überhaupt nur noch Menschen mit Symptomen getestet. Denn die Testkapazitäten im Land reichen nicht mehr aus, um alle Anfragen zu bearbeiten.

Bereits vor einigen Tagen hatte Gesundheitsminister Fraank Vandenbroucke eindringlich gewarnt: Ein "Tsunami" stehe dem Land bevor. Jetzt überrollt der Tsunami Belgien. Und wieder fragen sich die Belgier: Warum wir? Warum sind wir schon wieder so schlecht vorbereitet?

Rekordinfektionszahlen: Corona-Lawine wälzt sich über Belgien

Überlastete Spitäler in Belgien

Dabei hatte schon die erste Corona-Welle Belgien härter getroffen als die meisten anderen Länder. An die 8.000 Menschen waren hier gestorben - im Verhältnis zur Bevölkerungszahl so viele wie in keinem anderen europäischen Land. Zwei Drittel der Verstorbenen war gleich gar nicht ins Krankenhaus gekommen, sondern in Alten- oder Pflegeheimen gestorben.

Die Regionalregierung der Hauptstadt Brüssel hat nun wegen der explodierenden Zahlen nochmals die Regeln verschärft: So gilt ab Montag in Brüssel überall Maskenpflicht, die nächtliche Ausgangssperre beginnt bereits um 22.00 Uhr. Schwimmbäder, Sportclubs und Fitnessstudios müssen schließen, ebenso Theater, Kinos und Museen. Heimarbeit ist Pflicht, soweit dies möglich ist. Und: Kinder dürfen an Halloween nicht von Tür zu Tür ziehen.

Die belgische Regierung hatte bereits für das ganze Land die Schließung von Bars, Kaffehäusern und Restaurants, eine nächtliche Ausgangssperre von Mitternacht bis 06.00 Uhr, strikte Kontaktbeschränkungen und ein umfassendes Gebot für Arbeiten im Heimbüro verfügt.

Im Grunde, so waren sich die Kommentatoren in Belgiens Medien einig, handle es sich bereits "um einen Lockdown, der nur nicht so heißt". Und einig ist man sich auch bei der Ansicht: Alle Maßnahmen kommen viel zu spät.

Rekordinfektionszahlen: Corona-Lawine wälzt sich über Belgien

Ausgangssperre von 22 Uhr is 6 Uhr Früh in Brüssel und in der Wallonie

Enge Wohnverhältnisse

Als ein Grund, warum es Belgien so heftig erwischte, gilt die dichte Besiedlung: Abgesehen von den Niederlanden gibt es in Europa kaum eine so hohe Bevölkerungsdichte.

Ein weiterer Grund: Die komplizierten politischen Verhältnisse. Insgesamt neun Gesundheitsminister aus der Wallonie und Flandern, dem Bund und den Regionen sind zuständig. Bei manchen Maßnahmen dauert es endlos lange, bis sie sich überall durchsetzen lassen, bei manchen gelingt es gar nicht.

Besonders betroffen ist derzeit die Hauptstadt Brüssel - und hier besonders die von überwiegend ärmeren Einwandererfamilien bewohnten Bezirke Molenbeek, Anderlecht und Saint Josse. Man wohnt hier auf besonders engem Wohnraum, das Virus kann kaum aufgehalten werden, bringt es ein Familienmitglied erst einmal mit nach Hause.

Rund 4.400 Menschen werden derzeit in den Spitälern mit einer Covid-19-Erkrankung behandelt, 708 davon liegen auf der Intensivstation. Eine von ihnen ist Belgiens frühere Premierministerin und nunmehrige Außenministerin Sophie Wilmes. Sie soll in stabilen Zustand und bei Bewusstsein sein.

Zwei Drittel der Coronaerkrankten in Belgiens Spitälern sollen Patienten mit Migrationshintergrund sein, schreibt die Brüsseler Stadtzeitung bruzz. Doch von Flandern bis in die Wallonie hat das Virus schon das ganze Land überrollt. Extrem schlimm ist die Lage auch in Lüttich (Liege), dort können in den Spitälern keine Intensivpatienten mehr aufgenommen werden.

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