Rechtsextremismus: Sorgenfall Sachsen

Rechtsextremismus: Sorgenfall Sachsen
In Chemnitz mischte sich die bürgerliche Mitte mit Rechtsradikalen – wie konnte das passieren?

Was sich unter Karl Marx’ Blick schon alles abgespielt hat, darüber sinniert Stephan Brenner dieser Tage oft. Der evangelische Pfarrer sitzt in seinem Büro in der Theaterstraße und blickt zurück: Als Chemnitz noch Karl-Marx-Stadt hieß und unter dem Monument ihres Namensgebers Bürger die Wende herbeisehnten. Weniger friedlich wurde hier zuletzt demonstriert. Nach dem gewaltsamen Tod des 35-jährigen Daniel H. marschierten Sonntag und Montag Hooligans und Rechtsradikale auf, einige die Hand zum Hitlergruß erhoben. An ihrer Seite: unzufriedene Bürger. Sie lieferten Bilder, die Brenner besorgen und über Deutschland hinaus für Schlagzeilen sorgten. Chemnitz war auch zur Bühne geworden für jene, die ihren Zorn ausleben wollten und laut Berichten von Journalisten ausländisch aussehende Menschen attackierten.

„Es ist kein Geheimnis, dass es in Sachsen überdurchschnittlich viel nationalistisches Gedankengut gibt, wobei Chemnitz nicht der einzige Ort ist“, sagt der 65-Jährige, versteht dies aber nicht als Entschuldigung. Es tut ihm vor allem um jene leid, die er in der Stadt als weltoffene Bürger kennt, die sich engagierten, als Flüchtlinge in die Stadt kamen – und die konstruktiv mit den Veränderungen in der Gesellschaft umgehen.

Instrumentalisierung

Rechtsextremismus: Sorgenfall Sachsen

Dass von einigen der Tod des 35-Jährigen im Sinne ihres Denkens instrumentalisiert wird, findet er sehr schlimm. Sowohl am Sonntag als auch am Montag haben Teile der AfD, ihr nahestehende Gruppen sowie rechte Hooliganvereine binnen kürzester Zeit über soziale Medien Anhänger mobilisiert.

Was daran neu war: Sie konnten auch ein breites Spektrum der bürgerlichen Rechten hinter sich versammeln, erklärt der politische Soziologe Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena: „Es gibt ein latent rechtes Potenzial in der Mitte, das sich jetzt Neonazis angeschlossen bzw. nicht von jenen Abstand genommen hat, als diese gewalttätig wurden.“ Bedenklich findet er, dass diese Mitte nicht in der Lage ist, zu differenzieren: „Dass ein Tötungsdelikt von Einzelnen verursacht wurde und dafür nicht pauschal eine Menschengruppe verantwortlich gemacht werden kann, da fehlt es auch an Demokratieverständnis.“

Pfarrer Brenner, der seit 1981 in der Stadt lebt, ortet einen Funken, der bei diesen Menschen gezündet wurde, was zeige, dass es weitere Defizite gebe. Er will sie nicht verteidigen, sucht aber nach Erklärung: „Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander.“ Was Sachsen betrifft, spiele auch die Geschichte eine gewisse Rolle: „Es ist richtig, dass wir in der DDR gewohnt waren, dass für uns gesorgt wurde. Es war ein Fürsorgestaat, aber auch ein reglementierender. Da wurde einem gesagt, was man machen darf und was nicht. Und wenn man sich in das System eingefügt hat, hatte man sein Auskommen.“

„Einsatz für Werte“

Diese Zeit sehne er nicht mehr herbei, aber wenn etwas schiefläuft, neigten manche wohl zur Verklärung früherer Zeiten, meint er. Dennoch fragt er auch vorsichtig, ob man nicht mehr auf die Sorgen und Anliegen der Menschen hätte hören und eingehen sollen? „Es gibt in der Stadt Spannungen, darüber müsse man reden, möglicherweise auch streiten, aber sachlich und ohne Gewalt.“ Am heutigen Sonntag ruft seine Kirche zu einer Kundgebung auf. „Es soll deutlich werden, dass es viele Menschen gibt, denen es in erster Linie nicht um eine Konfrontation, sondern um einen konstruktiven Einsatz für Werte geht.“

Dass die Zivilgesellschaft bei den Ausschreitungen in der Minderheit war, liegt laut Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) auch an der Abwanderung. In der Süddeutschen Zeitung beklagt sie, dass eine ganze Generation fehle, die zu einer starken Zivilgesellschaft beitragen könne: „Seit 1989 haben 750.000 Menschen Sachsen verlassen, das waren Menschen, die gut ausgebildet waren, flexibel.“ Soziologe Quent sieht dies ähnlich, dadurch fehle ein Korrektiv. Wobei es die Zivilgesellschaft teils schwer gehabt habe, „weil die Landesregierung lange einen Diskurs pflegte, der ihr Engagement als linksextrem stigmatisierte“.

Für heute hofft Pfarrer Brenner, dass viele zur Kundgebung kommen: „Vielleicht sieht man dann aus Chemnitz wieder andere Bilder.“

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