Putins eigene Sicht auf 80 Jahre Stalingrad
Panzer rollen am 2. Februar durch Stalingrad, heute Wolgograd. Staatspräsident Wladimir Putin legt Blumen am Mamajer-Hügel, einer zentralen Gedenkstätte an den Zweiten Weltkrieg, ab. Am Vortag wird eine neue Stalin-Büste enthüllt.
Zum 80. Jahrestag der vielleicht blutigsten Schlacht des 20. Jahrhunderts werden die Ereignisse von damals und der Krieg in der Ukraine heute von der russischen Führung miteinander in Verbindung gebracht. Vor allem, seit der Westen dem überfallenen Land Leopard-2-Panzer liefern möchte. Deutsche Panzer, die wieder auf Russen schießen sollen.
Putin bekommt so Rückenwind für seine Darstellung: Die "spezielle Militäroperation" sei die Verteidigung Russlands gegen die "Hitler-Anhänger" in der Ukraine.
Alte freuen sich, dass Enkel "Nazis" töten
So wird es auch den Jugendlichen vermittelt, die das Panorama-Museum von Wolgograd mit seiner verklärten Dauerausstellung zur Schlacht von Stalingrad besuchen. Die Vorfahren hätten gegen den Faschismus gekämpft, so eine Mitarbeiterin der PR-Abteilung des Museums.
Und heute folge man ihrer Tradition. Viele Ältere, vor allem Veteranen, freuen sich, dass ihre Urenkel in der Ukraine "Nazis" töten.
Andere unterstützen die Gedenkfeiern, lehnen diesen Vergleich jedoch ab. Die russische Führung würde die Geschichte und vergangene Siege, wie es gerade passt, für ihre Propaganda nutzen, um die Menschen zu manipulieren, erklärt etwa der Historiker und Journalist Vyacheslav Yashchenko aus Wolgograd.
Den Russen heilig, den Deutschen ein Trauma
Die Schlacht von Stalingrad dauerte fast ein halbes Jahr, der Kessel im Winter 1942/43 zweieinhalb Monate. Mindestens 700.000 Menschen starben, andere Quellen berichten von einer Million. Hauptsächlich Soldaten der Roten Armee. Helden im "großen vaterländischen Krieg", die in Russland verehrt werden. Auf deutscher Seite starben viele nicht nur bei den Kämpfen, viele erfroren oder verhungerten. Mindestens 100.000 Wehrmachtsoldaten gerieten in Gefangenschaft. Die wenigsten sahen ihre Heimat je wieder.
Es war der moralische Wendepunkt beim Überfall Hitlers auf den einstigen Verbündeten. In der Folge befreite die Rote Armee die seit 1941 von Hitler-Deutschland besetzte Ukraine; Seit 1919 eigentlich eine Sowjetische Teilrepublik. In diesen Jahren kollaborierten viele Ukrainer mit den Nazis, nahmen an der Judenverfolgung nur zu gerne teil.
Andere leisteten jedoch Widerstand, bildeten Partisanenverbände die offen die Wehrmacht bekämpfte, an der Seite der Roten Armee. Die Idee eines unabhängigen ukrainischen Staates wurde wieder stärker.
Putin: "Schreckliche Zeiten" habe es gegeben
Im heutigen Russland muss reichen, dass man sich in der Ukraine gegen Faschisten und Nationalsozialisten zur wehr setzte. Und Stalin, den Putin früher einmal einen Verbrecher genannt hatte, wird öffentlich wieder verehrt. "Schreckliche Seiten" der russischen Geschichte in Schulbüchern auf Befehl Putins relativiert.
Zu diesen "schrecklichen Seiten" gehören ungezählte Opfer, die in Gulags Zwangsarbeit verrichten und sterben. Aber auch, Anfang der 1930er Jahre, der sogenannte Holodomor. Stalin lies Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer verhungern. Ob kaltblütig mit Absicht, oder als in Kauf genommenen Kollateralschaden ist bis heute nicht geklärt.
Unabhängig war die Ukraine selten
Bis zum Überfall Russlands und völkerrechtlich nicht anerkannter Annexionen war die Ukraine der größte Staat der ehemaligen Sowjetunion, das zur Gänze in Europa liegt. Ihre Geschichte reicht ins Mittelalter zurück, als "Kiewer Rus" die eigentliche Wiege Russlands. Lange Zeit herrschten hier Kosaken und Tartaren, ehe gegen Ende des ersten Weltkriegs hintereinander drei kurzlebige Staaten gegründet wurden
Bis auf die Deutsche Besatzungszeit (1941-1944) war das Gebiet der Ukraine dann von 1919 bis zur Unabhängigkeit 1991 eine Sowjetrepublik. Der damalige Zerfall der Sowjetunion, in Folge einer Vereinbarung der Präsidenten Russlands, der Ukraine und Belarus, nennt Putin 2005 "die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" – und handelt danach.
Die Geschichte hat sich dem unterzuordnen.
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