Putin-Land putzt sich heraus
Wenn ich im Dezember nicht die russische Währung bis zum letzten Kopeken ausgegeben hätte, könnte ich bei meinem aktuellen Moskau-Besuch Gewinn verbuchen. Der Rubel ist heuer die Währung, deren Wert weltweit am stärksten zugelegt hat. Ende 2014 ging der Rubel in Richtung Hunderter-Marke für einen Euro (85,65), jetzt liegt der Kurs bei rund 53 Rubel pro Euro. Der russische Finanzmarkt ist für risikofreundliche Anleger hoch attraktiv. Dies stärkt das Selbstbewusstsein der Russen, die unter der internationalen Isolation leiden.
Für die Rubel-Aufwertung haben die Experten nur vage Erklärungen: Relative Ruhe in der Ostukraine. Die Öl- und Gas-Preise sind nicht so tief gefallen wie befürchtet. Die Regierung kündigt das Ende der Wirtschaftskrise an. Gleichzeitig sagt die Weltbank für heuer ein Minus von drei bis vier Prozent der russischen Wirtschaftsleistung voraus. Dringend notwendige Reformen werden nicht eingeleitet. Die Industrieproduktion ist zuletzt gestiegen, die Löhne sind um neun Prozent gesunken. Russland ist voller Widersprüche.
Volle Lokale
Und wie reagiert das Volk? Die Sanktionen werden ignoriert. In Moskau sind die Innenstadt-Lokale voll, genauso die Geschäfte, Theater- und Konzertsäle. Für Eintritte werden ähnlich hohe Preise gezahlt – etwa für ein Konzert des chinesischen Pianisten Lang Lang – wie bei den Salzburger Festspielen.
Die Moskauer Stadtbetriebe arbeiten auf Hochtouren, an allen Ecken wird gefegt, gestrichen, Tausende Blumenbeete werden angelegt. Rund um den Kreml sind viele Renovierungsarbeiten im Gang. Selbst der Lenin-Leichnam wird generalüberholt, das Mausoleum ist gesperrt. Die Metropole putzt sich heraus. Am 9. Mai zur Militärparade auf dem Roten Platz zum 70. Jahrestag des Sieges über Hitler-Deutschland will Moskau glänzen.
In der Provinz gehen die Uhren traditionell ein bisschen anders. Der Selbstversorgergrad ist hoch. Der Schnee ist geschmolzen, die Gartenarbeit ruft. Den Lebenskreislauf auf dem Land bestimmt mehr die Witterung als die große Politik in Moskau. Die Schattenwirtschaft wird zwar weniger, aber ganz ohne Schwarzhandel geht es nicht.
Fahrende Händler
"Verehrte Fahrgäste, verzeihen Sie die Störung", sagt ein alter Mann im Vorortezug: "Habe Tageszeitungen, Kinderjournale sowie Kreuzwort- und Sudoku-Hefte." Kaum durchschreitet der illegale Kolporteur die Sitzreihen, betritt der nächste fliegende Händler den Waggon. Eine Frau preist einen Wunderkleber für Zahnprothesen an, die nächste trägt unter einer Decke noch ofenwarme, selbst gemachte Prirogy und bietet sie an. Alle fünf Minuten ist etwas anderes zu haben: Süßigkeiten, Eis und Limonaden, Büschel von Petersilie und Dill, Putzmittel, Socken, Küchengeschirr, Pflaster, Kugelschreiber.
Ein junges Mädchen mit Zahnspange singt ein Liebeslied ins Mikrofon und wirbt so für die eigene CD. Die Händlerkette wird einmal durch eine Frau unterbrochen, die um Spenden für eine Operation ihres behinderten Sohnes bettelt. Und durch eine Alte, die sich als Ukrainerin ausgibt, deren Schwiegersohn erschossen wurde. Die Tochter sei mit den Enkeln geflohen, sie müsse für alle sorgen. Wer es nicht glaubt, "könne nachlesen, sie habe die Dokumente dabei".
Auf die Situation in der Ostukraine angesprochen, schauen manche Mitreisende weg. Die, die sprechen wollen, geben sich betroffen. "Es sind unsere Brüder, in jeder Familie gibt es wenigstens einen Ukrainer. Es gibt viele ukrainische Restaurants in Moskau, die gehen gut. Kein einziges ukrainisches Denkmal wurde beschädigt. Die Ausschmückung der schönsten Metrostation ist der Freundschaft mit der Ukraine gewidmet. Nie haben wir sie als Fremde empfunden." Für die kriegerische Auseinandersetzung haben die einfachen Leute nur eine Erklärung: "Die Westukrainer sind den Amerikanern verfallen." Die Ost-Ukrainer dagegen – bis zu eine Million sind nach Russland geflohen – sind als Taxler, Kellner oder Ölfeldarbeiter gern gesehene Arbeitskräfte.
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