Ein „klassisches Patt“ – so charakterisiert der österreichische Sicherheitsexperte, Brigadier Gustav Gustenau die Situation auf den ukrainischen Schlachtfeldern. Derzeit zwar mit leichten Vorteilen für die Russen, doch die Zeit spiele Kiew in die Karten: „Je länger der Abnützungskrieg dauert, desto mehr Waffen kann der Westen ins Land bringen – das ist logistisch ja gar kein leichtes Unterfangen. Umgekehrt wird immer mehr russisches Gerät zerstört, was nicht so schnell zu reproduzieren ist“, so der pensionierte Offizier zum KURIER, der jetzt für den Think Tank „Europäisches Institut für Terrorismusbekämpfung und Konfliktprävention“ tätig ist.
Bei der Erreichung des „Maximalziels“ sei Kremlchef Putin „klar gescheitert“, das wäre der Regimewechsel im Nachbarland gewesen, das „Minimalziel“ sei aber erreichbar: „Die Ausdehnung der Gebiete im Ressourcen-reichen Ostens, die Eroberung der strategischen Infrastruktur, vor allem der Schwarzmeerhäfen, und zu verhindern, dass die Ukraine der NATO beitritt“, so Gustenau. Wobei er darauf verweist, dass die ukrainischen Streitkräfte gerade im Osten ihre Stellungen in den vergangenen Jahren stark ausgebaut hätten und von detaillierter US-Aufklärung profitierten: „Da werden russische Angriffsvorbereitungen ausgemacht, und die Russen tappen dann in die Falle.“
An eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und Russland glaubt der Militär derzeit nicht. „Keine Seite hat daran ein Interesse. Und Putin kennt die Kräfteverhältnisse – seine Armee stellt für das westliche Bündnis keine Bedrohung dar.“ Auch den Einsatz von russischen Massenvernichtungswaffen, seien es chemische oder nukleare, bewertet Gustenau als unwahrscheinlich – außer in einem Szenario: „Wenn sich Moskau auf dem Weg der Niederlage sähe und der Bestand des Systems gefährdet wäre, dann könnte sich Putin unter Umständen veranlasst sehen, einen letzten Befreiungsschlag zu lancieren.“
Dass der Kreml bei seinem Vorgehen gegen die Ukraine auf konventionelle Kriegsführung setzt, habe alle überrascht, nicht aber die Tatsache an sich. „Es war keine Frage des Ob, sondern des Wie“, betont der Brigadier. Letztlich gehe es um die Vorherrschaft im äußersten Osten Europas. Und die USA seien die vergangenen Jahre in der Ukraine sehr aktiv gewesen, hätten das Land de facto zu einem Verbündeten aufgebaut und damit „vitale Sicherheitsinteressen Russlands berührt“. „Was“, merkt der 62-Jährige an, „den völkerrechtswidrigen Krieg nicht rechtfertigt“.
Mittelfristig sieht er einen „frozen conflict“ (eingefrorener Konflikt) in der Ukraine und langfristig ein äußerst gespanntes Verhältnis zwischen der EU und Russland, das weiter von Konfrontation geprägt sein werde. „Dennoch müssen wir zu einem Ausgleich kommen“, sagt Gustav Gustenau, „denn ausschließlich in dieser Kriegspsychologie zu verharren, wäre fatal.“
Phosphorbomben und Gegenoffensive: Ukrainer im Donbass trauen keinem mehr
Kommentare