Orban als "Spielzeug in Putins Händen"
Wenn die sich durch knöcheltiefen, schweren Schneematsch kämpfenden Bewohner der Budapester Innenstadt heute überhaupt etwas ärgert, dann die zu erwartenden Verkehrsbehinderungen. Wladimir Putin hat sich für den Nachmittag für einen Arbeitsbesuch in der ungarischen Hauptstadt angesagt. Was bedeutet: Großräumige Sperren, Staus und Fahrverbote wegen des russischen Präsidenten. Auch entlang des zentralen Andrassy-Boulevards, was der dort verkaufenden Blumenfrau Sorgen bereitet: "Schlecht für das Geschäft. Aber am Abend ist er wieder weg."
Kein Staatsgast hat sich in Ungarn in den vergangenen Jahren öfter eingestellt als Wladimir Putin. Zwei Besuche binnen drei Jahren, dazwischen hat Ungarns Premier Viktor Orban im Kreml einen Besuch absolviert. Diese neue Freundschaft zwischen dem EU-Staat Ungarn und Russland scheint der großen Mehrheit der Ungarn herzhaft egal zu sein. Nur eine kleine Oppositionspartei, Együtt, hat für heute Abend vor dem Parlament in Budapest zum Protest aufgerufen. Und zwar zu einem möglichst lauten. "Wir planen ein Pfeifkonzert", schildert Együtt-Vorstandsmitglied Nora Hajdu dem KURIER. Ein unüberhörbares Signal solle es werden, sagt sie, die Trillerpfeife in der Hand, und zwar "nicht so sehr gegen Putin als vielmehr gegen Orban. Seine Freundschaft mit dem russischen Präsidenten ist für Ungarn und für die ganze EU gefährlich. Und Orban weiß nicht", warnt die junge, liberale Politikerin weiter, "dass er wie ein Spielzeug in Putins Händen ist".
Orbans Kehrtwende
Als Oppositionspolitiker noch dezitiert Putin-kritisch, hat der konservative Regierungschef Ungarns in seiner dritten Amtszeit seit 2010 eine radikale Kehrtwende hingelegt: Eine energiepolitische Allianz wurde geschmiedet, die Moskaus bestens dastehen lässt: Für Ungarns einziges Atomkraftwerk Paks (sowjetische Bauart) wird Russland nicht nur die Technologien und die Brennstäbe liefern, sondern auch gleich noch Kredite in der Höhe von zehn Milliarden Euro übernehmen. Das hatte zunächst die EU-Kommission auf den Plan gerufen. Letztlich aber stellte Brüssel keinen Verstoß gegen die EU-Vergabebestimmungen fest.
"Schuss ins eigene Knie"
Für größere Verstimmung sorgt da schon Orbans unverblümtes Schimpfen über die EU-Sanktionen gegenüber Russland. An die sechs Milliarden Euro gingen Ungarn dadurch jährlich an Exporterlösen verloren. Die Sanktionen seien "ein Schuss ins eigene Knie", wettert der ungarische Regierungschef denn auch immer wieder – und rennt damit bei Putin offene Türen ein. Nichts käme dem russischen Staatschef mehr gelegen, als die lästigen Sanktionen endlich wieder loszuwerden.
Was wiederum so manchen ungarischen Wähler fürchten lässt, der sich auffällig um Orban bemühende Putin könnte versuchen, den ungarischen Premier vor seinen Karren zu spannen. "Diese Sanktionen wurden wegen der Krim-Krise und wegen des Krieges in der Ukraine von der EU beschlossen", sagt Együtt-Politikerin Hajdu, "diese EU-Sanktionspolitik ist unsere Sanktionspolitik." Doch Hajdu beruhigt: So laut Orban daheim in Ungarn Brüssel als "etwas Böses" darstelle, so wenig votierte er bei den konkreten Abstimmungen über Verlängerungen der EU-Russland-Sanktionen gegen die Mehrheit in der EU. Dennoch sei dieses Spiel, diese Schaukelpolitik zwischen der EU und Russland, riskant: "Die Welt ist heute nicht mehr so stabil wie vor zehn, fünfzehn Jahren", glaubt die zweifache junge Mutter Hajdu, "und deshalb sind die EU und die NATO für Ungarn umso wichtiger. Sie sind es, die unsere Sicherheit garantieren."
Weltpolitik, Sicherheit und hohe Besuche aus Russland, sie sind dem sehr jungen Pärchen, das im Schneeregen den Andrassy-Boulevard entlanghetzt, ganz egal. "Putin ist der größte Gauner auf der Welt. Aber wen kümmerts?", meint der Bursche, "wir hier haben auch ein paar große Gauner." Seine ungeduldig zappelnde Freundin aber will bloß wissen: "Wer ist eigentlich dieser Putin?"
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