Eine Ära neigt sich dem Ende zu. Man hat der Nachfolgerin des mächtigen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl, einer Frau, noch dazu einer aus dem Osten, anfangs nicht viel zugetraut. Doch da haben die politischen Rivalen ebenso wie Polit-Analysten die Rechnung ganz ohne Angela Merkel gemacht.
Doch wie hat sie das gemacht? Wie wurde die „Mutti der Nation“ nach ihrer Wahl zur ersten Frau an der Spitze Deuschlands zur Ikone ?
Die deutsche Psychologin und Psychotherapeutin Helga Krüger-Kirn hat sich im Zuge ihrer Forschungen aus sozialpsychologischer und feministischer Sicht mit Mutterschaft und Mutterbildern beschäftigt. Im Gespräch mit dem KURIER analysiert sie Sein, Schein und Tun von Merkel.
KURIER: Wer hat eigentlich das "Mutti"-Bild kreiert: Merkel selbst, ihre Berater, die Medien?
Helga Krüger-Kirn: Eine Mischung aus allen. Die Konstruktionen dieses Bildes von Frau Merkel mussten sowohl Anknüpfungspunkte an klassische Narrative von Mütterlichkeit wie Zuverlässigkeit, Freundlichkeit, Verantwortung bieten als auch mit ihrer Person vereinbar sein. Frau Merkel wird zwar als zurückhaltend und emotional kontrolliert beschrieben, aber eben auch als zuverlässig, kommunikativ und zielorientiert. Damit bot sie von Anfang an Eigenschaften, die sich leicht mit mütterlichen Kompetenzen wie der Bereitschaft, auf eigene Bedürfnisse zu verzichten, also die sprichwörtlich mütterliche Opferbereitschaft, verbinden ließen.
Wie hat sie es geschafft, das Image der "Mutti der Nation" immer aufrechtzuerhalten?
Weil sie immer vermittelt hat, dass sie sich kümmert, dass auf sie jederzeit Verlass ist, dass sie unermüdlich für die Bürgerinnen und Bürger arbeitet, dass sie aber auch zu Kompromissen bereit ist. Dieses Image wurde von PR-Profis zusätzlich befeuert.
Was ist für Sie das Spezielle an dieser Inszenierung?
Dass wir in "Mutti Merkel" keine sexistischen Anspielungen finden, sondern konsequent auf ein Mutterbild abgezielt wird, das Raum für die Ambivalenz von Anerkennung und Abwertung lässt. Damit kann an verschiedene Mutter-Bilder angedockt werden, die nicht nur unterschiedliche Eigenschaften repräsentieren, sondern auch unterschiedliche und flexible Deutungen zulassen, zum Beispiel in Bezug auf Fürsorglichkeit oder Durchsetzungsfähigkeit.
Was war Merkels größte politische Leistung hinsichtlich der Emanzipation?
Mit ihrer Standhaftigkeit und Unbeirrbarkeit hat sie gezeigt, dass es auch Frauen möglich ist, auf höchster politischer Ebene zu bestehen. Zielstrebigkeit, Rationalität und Kompetenz werden ja bis heute gemeinhin Männern zugeschrieben. Und obwohl sie selbst selten feministische Themen eingefordert hat, ist es ihr über all die Jahre gelungen, das klassische Image von Weiblichkeit aufzubrechen und zu irritieren.
"Mütter gelten als diejenigen, die die Bedürfnisse aller Familienmitglieder im Auge behalten"
von Helga Krüger-Kirn
Psychotherapeutin
Inwiefern?
Indem sie abseits von Quotenregelungen stärker auf die Skills aufmerksam gemacht und in den öffentlichen Raum getragen hat, die klassischerweise Frauen und insbesondere Müttern zugeschrieben werden.
Die da wären?
Mütter gelten als diejenigen, die die Bedürfnisse aller Familienmitglieder im Auge behalten und diese befriedigen. Mütterlichkeit als spezifisch weibliche Fähigkeit wird biologisch begründet, ist aber historisch betrachtet eindeutig politischen Umwälzungen und ökonomischen Zwängen seit der industriellen Revolution geschuldet. Angela Merkel hat es geschafft, bestimmte mütterliche Eigenschaften in den politischen und öffentlichen Raum einzuschreiben und auf diese Weise zu verallgemeinern. Damit werden nicht nur weibliche Klischees aufgebrochen, sondern ermöglichen, über Mütterlichkeit geschlechterunabhängiger nachzudenken.
Sehen Sie bei Merkel auch ein Manko?
Am ehesten, dass man Attribute wie Aggressivität, Streitbarkeit und die Fähigkeit zu konflikthafter Auseinandersetzung nicht mit ihr verbindet. Diese Attribute können insofern weiterhin männlich codiert bleiben.
Eine Frau, die in der Politik immer die Hose anhatte: War das auch ein Statement?
Mit ihrer Kombination aus schwarzen Hosen und farblich variierenden Blazern und Halsketten hat sie den typisch weiblichen und männlichen Dresscode aufgebrochen. Merkel konterkarierte damit nicht nur klassische Modeklischees, sondern auf metaphorischer Ebene lässt sich dies auch als Infragestellung von Geschlechterstereotypien lesen. Dazu passt auch, dass sie stets flache Schuhe trug.
Warum?
Weil sie damit signalisierte: Ich brauche keine Machtdemonstrationen und muss mich für euch nicht größer machen als ich bin. Ich brauche keine Highheels, um mit euch Schritt halten zu können. Im Gegenteil, ich stehe auf meinen eigenen Füßen.
In Merkels Partei, der CDU, hat sich am Ende keine Frau für ihre Nachfolge beworben. Für Sie schade?
Für mich ist eher die Frage: Hat Frau Merkel eine nachhaltige Wirkung in der Politlandschaft hinterlassen?
Hat sie?
Das glaube ich schon. Mit ihrer Unerschütterlichkeit, ihrer standhaften Präsenz und ihrer Fähigkeit, interessenorientiert zu agieren, hat Angela Merkel eindeutig bewiesen, dass Frauen im politischen Diskurs nicht nur bestehen, sondern gestalten können. Sie ist damit auch ein Vorbild für viele junge Frauen, die mit ihr groß geworden sind.
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