Erdogan hält an Park-Projekt fest
Die massiven Proteste beeindrucken den türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan offenbar nicht ein bisschen. Er will das umstrittene Bauprojekt in Istanbul fortsetzen. Er werde die Umgestaltung des Gezi-Parks in der Metropole vorantreiben, sagte Erdogan am Donnerstag in der tunesischen Hauptstadt Tunis laut einer arabischen Übersetzung seiner Äußerungen.
15 Personen verhaftet
Die türkische Polizei geht indes gegen all jene, die sich dem Protest gegen Premier Erdogan anschließen, äußerst rigide vor - wie die türkische Zeitung Zaman berichtet, soll die Exekutive mittlerweile auch 15 Personen in Gewahrsam genommen haben, die nicht die türkische Staatsbürgerschaft besitzen. Sie sollen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und Griechenland stammen; vier von ihnen sollen einen diplomatischen Pass besitzen. Der Vorwurf gegen sie: Sie würden beschuldigt, sich in Istanbul als Provokateure unter die Protestierenden gemischt zu haben, berichtet das Blatt.
Dass unter den festgenommenen Diplomatenpass-Haltern griechische Staatsbürger seien, hat das griechische Außenministerium am Donnerstag ausgeschlossen: "Das ist nicht wahr. So was ist nicht geschehen. Kein griechischer Diplomat oder Halter eines griechischen diplomatischen Passes wurde in der Türkei festgenommen", sagte der Sprecher.
Zudem sind einige Dutzend Aktivisten wegen des Verdachts auf einen Umsturzversuch festgenommen worden. Sollten die Beschuldigten vor Gericht gestellt werden, drohen ihnen lebenslange Haftstrafen.
Auch Nobelpreisträger Pamuk kritisiert Erdogan
"Dieses Gebiet trägt die Erinnerungen von Millionen Menschen und der Park auf der Rückseite sollte großen Veränderungen unterzogen werden, und das ohne die Bürger von Istanbul zu fragen", so der Autor. "Das war ein großer Fehler der Regierung Erdogan. Die Quelle dieser unsensiblen Politik ist ohne Zweifel die zunehmend unterdrückerische und autoritäre Haltung der Regierung. Dass die Istanbuler ihr Recht auf politische Versammlung wahrnehmen und sich nicht leicht von ihren Erinnerungen trennen, gibt mir für die Zukunft Zuversicht und Hoffnung".
Drei Tote
Bisher kamen bei den Zusammenstößen in der Türkei drei Menschen ums Leben - ein Aktivist sei am Mittwoch seinen Verletzungen erlegen, die er in Ankara erlitten hatte, erklärte der türkische Ärzteverband TTB nach Angaben der Zeitung Hürriyet. Die Zahl der Verletzten sei inzwischen auf weit über 4000 gestiegen, davon seien 43 in einem kritischen Zustand.
Noch in der vergangenen Woche war es lediglich ein lokaler Protest gegen eine Städtebau-Projekt in Istanbul, inzwischen hat der Proteststurm in der Türkei mehr als 60 Städte erfasst. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht sich mit dem größten politischen Flächenbrand seit seinem Amtsantritt im Jahr 2002 konfrontiert:
28. Mai: In der Millionen-Metropole Istanbul gibt es eine Demonstration gegen den Bebauungsplan im Gezi-Park in der Nähe des Taksim-Platzes. Erdogans Partei will dort ein osmanisches Kasernengebäude aus dem 18. Jahrhundert nachbauen und darin Cafés, Museen oder auch ein Einkaufszentrum unterbringen.
31. Mai: Die Polizei in Istanbul setzt Tränengas gegen mehrere hundert Demonstranten ein. Es gibt mindestens zwölf Verletzte.
1. Juni: Die Proteste in Istanbul werden gewalttätiger, die Demonstranten werfen Steine und Flaschen, die Polizei setzt Tränengas und Pfefferspray ein. Der Funken springt auf andere Städte über. Amnesty International sprich von hundert verletzten Demonstranten. Erdogan räumt "einige Fehler" im Verhalten der Polizei ein, die vom Taksim-Platz abgezogen wird. Dort rufen die Demonstranten nun auch: "Regierung, tritt zurück!"
2. Juni: Erste große Protestkundgebung in der Hauptstadt Ankara: Rund tausend Demonstranten versuchen zum Regierungssitz zu ziehen. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein. Amnesty International beklagt, mehrere Demonstranten seien durch das Tränengas erblindet. Die Angaben zur Bilanz der Auseinandersetzung gehen nun weit auseinander: Innenminister Muammer Güler spricht von 58 verletzten Zivilisten und 115 verletzten Polizisten landesweit. Er gibt die Zahl der Festgenommenen mit 1700 in 67 Städten an. Menschenrechtsgruppen bilanzieren ihrerseits inzwischen tausend Verletzte in Istanbul und 700 in Ankara.
3. Juni: Präsident Abdullah Gül versichert den Demonstranten, ihre Botschaft sei "angekommen". Erdogan seinerseits will nicht zurückstecken und lehnt es vehement ab, in Anlehnung an den Arabischen Frühling nunmehr auch von einem Türkischen Frühling zu sprechen. In der Provinz Hatay wird laut dem Sender NTV ein 22-jähriger Demonstrant von einem Unbekannten angeschossen und so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus stirbt.
4. Juni: Erneute Zusammenstöße zwischen Demonstranten und der Polizei in Istanbul und Ankara. In der Stadt Antakya wird nach Angaben von Behördenvertretern ein weiterer Demonstrant getötet. Laut Vizeregierungschef Arinc wurden bisher 244 Polizisten und 64 Zivilisten verletzt. Aktivisten sprechen dagegen weiter von hunderten Verletzten. Zwei große Gewerkschaften, KESK und DISK, unterstützen die Protestbewegung mit einem Aufruf zu einem zweitägigen Streik.
5. Juni: Tausende folgen dem Streikaufruf. Sie fordern lautstark Erdogans Rücktritt. Anführer der Protestbewegung treffen Arinc in Ankara und übergeben einen Forderungskatalog: sie verlangen unter anderem ein Einsatzverbot für Tränengas, die Freilassung festgenommener Demonstranten und die Entlassung der für brutale Polizeieinsätze verantwortlichen Polizeichefs. In Izmir werden 25 Menschen wegen Übermittlung "irreführender und verleumderischer" Nachrichten über den Kurznachrichtendienst Twitter festgenommen.
6. Juni: Nach Medienberichten stirbt erstmals ein Polizist seinen Verletzungen im Krankenhaus. Erdogan verkündet bei einem Besuch in Tunis, er wolle von dem umstrittenen Bauprojekt nicht abrücken. Er sieht auch "Terroristen" unter den Demonstranten.
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