Pressestimmen: "Zweifel an den Jubel-Türken"

Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Köln.
Deutsche Medien betonen das Demonstrationsrecht, kritisieren aber das mangelnde Demokratieverständnis der Demonstranten.

"Zweifel an den Jubel-Türken"
"Und wenn sie hierzulande, auf dem Boden der Meinungsfreiheit, über ihren türkischen Präsidenten jubeln, der die Meinungsfreiheit in der Türkei als Verbrechen verfolgen, der Medienhäuser zusperren und den Privatbesitz von Kritikern konfiszieren lässt, dann müssen sich diese Erdoğanisten sagen lassen, dass sie sich vor den Schinderkarren eines Staatsdemagogen spannen lassen. (...) Auch ein gescheiterter Putsch ist keine Rechtfertigung dafür, ein System rechtstaatsferner Willkür zu errichten. Wer die Jubel-Türken sieht, denkt an verhaftete Richter, Wissenschaftler und Journalisten in der Türkei - und kriegt Gänsehaut. (Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung)

"Zeigen wir Erdogan, was Demokratie wirklich heißt"
"Was diese Leute unter Demokratie verstehen, ist kein Katalog aus unveräußerlichen Normen und institutionalisierten Verfahren, es ist der zur Macht gekommene, ungebändigte ,Volkswille'." Es war richtig, Erdogan in Köln kein Forum für eine solche Interpretation seiner "Volksherrschaft" zu bieten. Barack Obama konnte als US-Wahlkämpfer 2008 zu den Berlinern sprechen, von ihm war eine sicherheitsgefährdende Aufpeitschung der Emotionen nicht zu erwarten. Erdogan gehört nicht in diese Kategorie von Rednern. Er will Macht beweisen, und solche Versuche werden rasch zum Problem. (Torsten Krauel in der Welt)

"Pro Erdoğan ohne Erdoğan"
"Man darf in Deutschland gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan demonstrieren, auch wenn er ein 'wichtiger Partner' der Kanzlerin ist. Umgekehrt darf man auch für Erdoğan demonstrieren, selbst wenn dieser gerade die Demokratie in der Türkei abschafft."

Und zum Verbot der Live-Schaltung auf der Großbildleinwand: "Es ist das Wesen der Demonstra­tions­freiheit, dass sich der Staat nicht in die Inhalte der Kundgebung einmischt, solange die Gesetze beachtet werden. Eine solche Einmischung war aber das Verbot, Erdoğan per Videobotschaft zu den Kölner Pro-Demons­tranten sprechen zu lassen. (...) Ein Veranstalter einer Demonstration kann Inhalt und Ablauf einer Versammlung selbst bestimmen. Dazu gehört auch, wer wie redet. Den deutsch-türkischen Demons­tranten wurde hier in einer symbolisch wichtigen Frage der Rechtsschutz verweigert. Dabei sollte der Rechtsstaat gerade in nervöser Zeit seine neutrale Stärke für alle zeigen. (Christian Rath in der taz)

"Die Erdogan-Demo zementiert das Freund-Feind-Denken"
"Seit zwei Wochen prallen die unterschiedlichen Wahrnehmungen immer unvermittelter aufeinander. Es scheint nur noch Freund oder Feind zu geben. Der Raum für Grautöne und Differenzierungen wird von Tag zu Tag kleiner – und damit der Raum für Politik. Das ist erschreckend und gefährlich. (Claudia Keller im Tagesspiegel)

"Die Qualität eines Rechtsstaats"
Wenn Zehntausende Türken vor userer Haustür für einen Machtmenschen demonstrieren, der dabei ist, die Demokratie in seinem Land mehr oder weniger abzuschaffen, wirkt das schon paradox. Man darf es sogar unappetitlich finden. Aber das trifft gewiss auch auf andere Demonstrationen zu. NPD-Aufmärsche sind eine noch viel größere Zumutung. Und doch ist unser Land stark genug, selbst diese zu ertragen. So soll es bleiben. (Frank Preuß für die WAZ)

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