Schicksalswahl in Polen: Bekommen die Rechtspopulisten einen Dämpfer?
Ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das Präsidentenamt wird heute erwartet. Dabei heißt es nicht nur Präsident Duda gegen Herausforderer Trzaskowski, sondern auch Stadt gegen Land.
Ein weißhaariger Herr nimmt im Lebensmittelladen "Maria Zabron" noch die kostenlose Beilage der rechten Zeitung Gazeta Polska mit, die direkt neben der Kasse liegt. Es ist eine Wahlwerbung für Präsident Andrzej Duda, der heute in der Stichwahl gegen den liberalen Herausforderer Rafal Trzaskowski bestehen soll.
Rentner Jerzy wird ihm seine Stimme geben. "Es hat sich hier einiges getan", sagt er und gönnt sich vor seinem älteren Audi genüsslich eine Mentholzigarette. Er ist hier im Dorf Skrzynsko aufgewachsen. Es ist ein unauffälliger Ort, 130 Kilometer südlich von Warschau, mit einigen Holzhütten, Bauernhäusern aus Ziegelsteinen, aber auch schmucken Einfamilienhäusern. Neben der privaten Felderwirtschaft ist hier "Hortex", der bekannte polnische Hersteller von Saft und Tiefkühlkost, der größte Arbeitgeber. Dennoch liegt die Arbeitslosigkeit in der Region bei hohen 17 Prozent – landesweit sind hingegen offiziell nur sechs Prozent auf Arbeitssuche.
Er ist Doktor der Rechte und doch ein Mann des Volkes – unermüdlich tourt der leutselige Nationalkonservative seit 2015 durch das Land, um den Menschen Hoffnung auf den "Wandel zum Guten" zu machen. Auf seine Wiederwahl hofft die Provinz, die den 48-jährigen Vater einer Tochter als Garant traditioneller Werte und des Sozialtransfers ansieht.
Als Professoren an der Technischen Uni Krakau glaubten beide Eltern an die Wissenschaft wie an Gott und zogen ihn im katholischen Glauben auf. Nach dem Studium arbeitete Duda kurz als Rechtsanwalt, engagierte sich bei der liberalen Freiheitsunion, wechselte dann 2005 zur frisch gegründeten "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und wurde rasch zum Vertrauten von Lech Kaczynski, dem 2010 verunglückten Zwillingsbruder von Parteichef Jaroslaw. Dieser machte ihn 2014 zum Präsidentschaftskandidaten, er schlug Amtsinhaber Bronislaw Komorowski 2015 überraschend.
Bei der ersten Runde am 28. Juni errang Duda 43,5 Prozent der Stimmen.
Stolz auf die Regierung
Wer ordentlich verdienen wollte, reiste weg, zumeist nach Deutschland. Viele Menschen handeln hier mit deutschen Autos. Rentner Jerzy fuhr als Lastwagenfahrer "um die Welt". Nun kommt die Welt wieder nach Skrzynsko und in die nahe liegende Kreisstadt Przysucha: Die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die Präsident Duda unterstützt, habe dafür gesorgt, sagt Jerzy stolz, dass der Intercity von Warschau nach Krakau an der vorher still gelegten Bahnstation wieder hält.
Weitere Perspektiven tun sich für den Ort auf: Ein Tabakkonzern aus Singapur hat hier Land für eine Manufaktur gekauft. Auch ein Hersteller von Plastikgranulaten aus China will sich ansiedeln. Mit dem Versprechen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, hat die PiS hier viel Hoffnung geweckt. Die Erhöhung des Kindergeldes, Senkung des Rentenalters und andere soziale Leistungen trieben ihr noch mehr Wähler zu. Warum die PiS und Duda hier so fest verankert ist, will eine ältere Frau mit Kopftuch, die sich in ihrem Blumengarten nach dem Unkraut bückt, wie viele nicht verraten. Auch nicht, wen sie wählt: "Meine Sache". Aber sie lacht, als der Reporter meint, dass dies doch klar sei.
Stadt gegen Land
Großstadt gegen ländliche Regionen und Kleinstädte. Das ist eine der wichtigen Spaltungslinien in Polen. Egal ob Breslau im Westen, Krakau im Süden, Danzig im Norden oder Lublin im Osten. Die großen Städte wählen mehrheitlich liberal, die Dörfer überwiegend nationalkonservativ.
Die Hauptstadt ist das Revier von Rafal Trzaskowski, Mitglied der liberal-konservativen Partei "Bürgerplattform" (PO). Die PO vertritt das liberale, europafreundliche Lager, sie stellt Polens stärkste Oppositionspartei dar.
Hier in Warschau ist der 48-jährige Trzaskowski aufgewachsen, hier regiert er als Oberbürgermeister, hier lächelt er mit seinem Dreitagebart von Billboards bis zu kleinen Postern auf die Passanten.
Für Kuba, Nina, Katarzyna und Michal, die trotz leichten Regens vor der In-Kneipe "Gemba" ein Craft-Bier genießen, gibt es keinen Zweifel – sie werden ihn wählen. "Das wichtigste Argument ist, dass Trzaskowski als Stoppschild für die Regierung wirkt. Damit sie nicht mehr machen kann, was sie will."
Empörend findet Katarzyna auch, dass gegen die sexuellen Minderheiten gehetzt werde, für sie sind Bekanntschaften mit Homosexuellen vollkommen normal. "Einen Himalaja der Heuchelei" nennt Kuba, der auf dem Krakauer Flughafen arbeitet, die Staatsmedien, die aggressiv und parteiisch aufseiten der Regierung agierten. Er bevorzugte den parteilosen Journalisten Szymon Holownia, der in der ersten Wahlrunde den undankbaren dritten Platz erreicht hatte.
Der Konkurrent. Der Liberale kennt und lebt Europa – er studierte Außenpolitik in Oxford und Paris, wirkte als Übersetzer und Abgeordneter im französischen Straßburg, war polnischer Europaminister und regiert aktuell die polnische Hauptstadt Warschau.
Der Politiker der "Bürgerplattform" (PO), mit 48 Jahren gleich alt wie sein Konkurrent Duda, ist darum der große Hoffnungsträger derer, die die Demokratie in Polen durch die Regentschaft der Nationalkonservativen gefährdet sehen und sich einen weniger konfrontativen Ton mit Brüssel wünschen.
Aufgewachsen ist er in Warschau, wo sein Vater Artur als einer der bekanntesten Jazzpianisten des Landes wirkte. Der Sohn wurde mit fünf Fremdsprachen ein Sprachvirtuose, doch mit dem Klerus haben er und seine Frau Malgorzata Dissonanzen – die beiden Kinder gingen nicht zur Kommunion. Das ist ein Misston, der auf dem Dorf natürlich vernommen wird. Ob Trzaskowski, der im ersten Wahlgang auf 30,64 Prozent kam, reüssieren kann, ist also offen.
Einfluss der Kirche
In der kleinen Kreisstadt Przysucha, ein Ort mit der typischen Melange aus Plattenbauten, kleinen Geschäften, Marienfiguren und einem mit EU-Mitteln renovierten Marktplatz, sieht man das nicht so. Dort hatte Duda vor fünf Jahren mit dem Slogan "Wandel zum Guten" seinen Wahlkampf gestartet, der ihn damals zum Sieg gegen den etwas selbstgefälligen Amtsinhaber Bronislaw Komorowski führte. Beim ersten Wahldurchgang am 28. Juni fuhr er hier mit über 72 Prozent sein drittbestes Ergebnis landesweit ein.
Fremden gegenüber ist man hier zugeknöpft. Eine ältere Frau, die sich und ihren Mann festlich angezogen hat, erklärt die Parteienwahl dennoch: "Wir sind hier eben alle katholisch, hier bei uns gibt es eigentlich nur Katholiken."
Für die leger gekleideten Kneipengänger in Warschau, allesamt Anfang 30, ist genau das das Problem. Für sie sind die versprochenen Sozialgeschenke des Amtsträgers uninteressant, denn sie haben in den Metropolen Krakau und Warschau mit ganz anderen Kosten und Unsicherheiten zu kalkulieren – Nina fürchtet eben den Einfluss der Kirche.
Sie hat von vielen Pfarren gehört, wo Priester den Wählern von Trzaskowski die Exkommunikation androhten. "Duda kann seine Wähler besser mobilisieren", meint sie etwas pessimistisch.
Der Regen wird stärker, die vier trinken ihr Bier zu Ende. Heute wird gewählt, Stadt gegen Land.
Das polnische Staatsoberhaupt repräsentiert das Land nicht nur nach außen. Es hat Einfluss auf die Außenpolitik, ernennt Regierungschef und Kabinett und ist im Kriegsfall Oberkommandierender der Streitkräfte Polens
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