Polen beseitigt die unabhängige Justiz – EU sieht hilflos zu

Der Druck in der EU wächst, Warschau zu sanktionieren.Selbst Polens Präsident Duda kritisiert die umstrittene Gesetzesreform.

In Warschau ist größte Eile angesagt: Bis Monatsende will die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit " (PiS) ein weiteres Gesetz, mit dem sie das Ende der unabhängigen Justiz Polens besiegelt, durch das Parlament peitschen. Binnen 30 Tagen würden dann alle, der Regierung nicht genehmen Richter des Obersten Gerichtshofes ausgetauscht. Dann hätte die rechtskonservative PiS endgültig alle Justiz-Organe und alle Richter des Landes unter ihrer Kontrolle.

Ein bisher in einem EU-Staat nie da gewesener Vorgang, der seit zwei Jahren in Brüssel Proteste, nun aber für massive Empörung sorgt. "Wenn Polen heute in die EU kommen wollte, würde man ihnen sagen, dass sie die Kriterien nicht erfüllen", schimpfte gestern Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn.

Einmal mehr wird sich die EU-Kommission, die Hüterin der EU-Verträge, am heutigen Mittwoch mit dem schwierigen Mitglied Polen befassen. "Die EU-Kommission muss sofort eine Prüfung einleiten und die Konsequenzen klar machen. Denn Polen verlässt den Boden der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und gemeinsamen EU-Werte", fordert der Delegationsleiter der ÖVP-Abgeordneten im EU-Parlament, Othmar Karas.

Ohnmächtig

Nach Druck, Strafen, und Sanktionen wird gerufen – doch die Kommission ist ohnmächtig. Bereits vor eineinhalb Jahren hat sie ein Rechtsstaatsverfahren (nach Artikel 7) gegen Warschau eröffnet. Das bisher noch nie gegen einen EU-Staat angewandte Verfahren könnte in letzter Konsequenz – deshalb auch "Atombombe" genannt – bis zum Entzug der Stimmrechte Warschaus führen. "Aber Polen hat keine Anstalten gezeigt, die gerügte systemische Verletzung der Rechtsstaatlichkeit zurückzunehmen", führt Europarechtsexperte Waldemar Hummer gegenüber dem KURIER aus.

Im Gegenteil. Konsequent schreitet die PiS-Regierung nun auf der letzten Etappe bei der Beseitigung der unabhängigen Justiz des Landes voran.

Gegenwehr von der Kommission hat sie kaum zu befürchten. Um die letzte und wirklich schmerzhafte Stufe im Rechtsstaatsverfahren einzuleiten, bräuchte die Kommission die Unterstützung aller EU-Mitgliedsländer. Doch die ist nicht zu haben. Ungarn hat bereits klargemacht: Premier Viktor Orban wird nichts zum Schaden der befreundeten Regierung in Warschau unternehmen.

Präsident Duda blockiert - ein wenig

Nur einer kann im Streit um die geplante Justizreformnun noch bremsen: Präsident Andrzej Duda. Überraschend hat er sich eingeschaltet und einen eigenen Entwurf zur Reform des Landesrichterrats (KRS) - eines Verfassungsorgans zur Wahrung der Unabhängigkeit der Justiz - im Parlament eingebracht, teilte das Staatsoberhaupt am Dienstag mit. Dudas Gesetzesentwurf soll demnach jenen der Nationalkonservativen ersetzen, mit dem die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Einfluss auf die Richterwahl nehmen will. Kritiker aber sind längst nicht zufrieden: Dudas abgeschwächte Version der Reform sei zwar ein „Hoffnungsschimmer“, aber keine zufriedenstellende Lösung, sagte der Landesrichterrat-Sprecher Waldemar Zurek.

Und die größte Bedrohung für die unabhängige Justiz bleib dennoch aufrecht. Denn das Gesetz für den Umbau des Obrsten Gerichtes willer nur vorerst nicht unterschreiben. Sobald aber sein eigener Gesetzesentwurf für den Landesrichterrates durch ist, wird der Parteifreund der PiS seine Unterschrift geben.

Kürzungsdrohungen

Als Reaktion auf den Umgang der polnischen Regierung mit dem Gerichtswesen des Landes hatindessen EU-Justizkommissarin Vera Jourova erneut den Entzug von EU-Fördergeldern angedroht. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwa deutsche oder schwedische Steuerzahler für die Errichtung einer Art von Diktatur in einem anderen EU-Land bezahlen wollen“, sagte Jourova zur „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Derartige Drohungen sind allerdings weit von jeder Umsetzung entfernt. Budgetentschlüsse sind im EU-Haushalt im EU-Rat nur einstimmig zu erzielen. Und dass Polen seiner eigenen Kürzung zustimmt, darf ausgeschossen werden.

Unter Tumulten hat der Senat, die zweite Parlamentskammer, in Polen am Freitag zwei umstrittene Gesetzesnovellen abgesegnet, die nur zwei Tage zuvor im Sejm angenommen worden waren:
- Eine erwirkt die Auflösung des „Landesgerichtsrats“ in seiner bisherigen Besetzung. Als besonders prekär gilt, dass die 15 Richter der Kontrollinstanz nun vom Parlament bestimmt werden, anstatt von der „Selbstverwaltung der Richter.“
- Das zweite Gesetz erlaubt Justizminister Zbigniew Ziobro, die leitenden Richter der ordentlichen Gerichte auszutauschen.
- Zudem hat die Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der es ermöglicht, das Personal des Obersten Gerichts innerhalb von 30 Tagen auszutauschen.
Da das Verfassungsgericht bereits durchgehend neu mit PiS-nahen Richtern besetzt ist, gibt es nach der personellen Übernahme des Obersten Gerichts keine Instanz mehr, die die Regierung kontrollieren kann. Dabei fallen dieser Behörde zwei wichtige Funktionen zu – sie untersucht und bestätigt die Rechtmäßigkeit von Wahlen und Referenden. Sollte die Opposition wider Erwarten die Parlamentswahlen in zwei Jahren gewinnen, könnte das demnächst regierungsnahe Gericht dies anzweifeln und die Wahlen formal rechtmäßig annullieren lassen.
Nur ein Veto von Staatspräsident Andrzej Duda könnte den großen Personalwechsel an Polens Gerichten noch verhindern.

von Jens Mattern, Warschau

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