Mannheim, Wien, Solingen - die Gefahr von islamistisch motivierten Terroranschlägen in Westeuropa ist seit dem Hamas-Angriff auf Israel im Oktober wieder deutlich gestiegen. Die polarisierende Frage, was man dagegen tun soll, wird einmal mehr breit diskutiert und spiegelt sich in Wahlergebnissen wider. Terrorismus-Experte Peter Neumann vom Londoner King’s College rechnet in naher Zukunft mit noch mehr Anschlagsversuchen. Denke man an große Anschläge wie jene in Paris im November 2015, bei denen 130 Menschen starben, sei man 2024 eigentlich noch recht glimpflich davongekommen, sagt er dem KURIER. Doch: Es sei wichtig, jetzt zu handeln.
KURIER:Herr Neumann, vor dem 7. Oktober war es ein paar Jahre lang etwas ruhiger, was den IS-Terror in Westeuropa betrifft. Im Vergleich zu 2015: Wissen wir heute mehr als früher?
Peter Neumann: Ja. Viele Sicherheitsbehörden haben damals aufgestockt und Leute eingestellt, die sich mit Terroranschlägen und Islamismus auskennen. Sie wurden zum Glück auch während der Zeiten weiterbeschäftigt, in denen der IS nicht mehr so aktuell war. Und besonders nach den Bataclan-Anschlägen in Paris 2015 haben sich die Zusammenarbeit und der Datenaustausch europäischer Behörden um Lichtjahre verbessert. Damals gab es außerdem kaum Präventionsstellen.
Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan, Aufnahmestopps, Asylverfahren in Drittstaaten - aktuell wird sehr viel darüber diskutiert, mit welchen Maßnahmen man den Terror in Europa bekämpfen soll. Welche halten Sie für sinnvoll?
Es lassen sich Muster erkennen, auf die sollte man gehen. In Deutschland wurde die große Mehrheit der Anschläge im letzten Jahrzehnt von Asylwerbern oder Geflüchteten versucht bzw. durchgeführt. Natürlich soll man nicht alle als gefährlich darstellen. Aber sie sind offensichtlich eine Risikogruppe, aus der besonders viele Attentäter kommen. Es geht darum, mehr Ordnung ins gesamte Migrationsgeschehen zu bringen und mit den Verfahren effizienter umzugehen - also Menschen, die abgeschoben werden sollen, tatsächlich abzuschieben. Dazu braucht man Abkommen mit bestimmten Staaten und man müsste eine aktivere Migrationsdiplomatie betreiben.
Die viel diskutierte Drittstaatenlösung, also dass Asylverfahren bis zu einer Entscheidung außerhalb Europas stattfinden, würde dazu führen, dass viel weniger derer, die ohnehin keine Aussicht auf einen positiven Bescheid haben, sich auf den Weg machen. Das Asylrecht abzuschaffen, wie ganz rechte Parteien es fordern, halte ich für eine schlechte Idee. Es muss für jene erhalten werden, die wirklich Schutz brauchen.
Terrorismusforscher: Der Deutsche ist Professor für Sicherheitsstudien am King’s College in London. Von 2008 bis 2018 war er Gründungsdirektor des dortigen Internationalen Zentrums zur Erforschung von Radikalisierung und politischer Gewalt, 2017 außerdem Sonderbeauftragter der OSZE für die Bekämpfung von gewalttätiger Radikalisierung.
Berater: Vor der Bundestagswahl 2021 beriet Neumann den damaligen CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet und war Teil von dessen Wahlkampfteam.
Was ist mit Messerverboten?
Das Messer ist dem IS nicht heilig, es hat keine theologische Bedeutung. Ein IS-Sprecher hat auch schon gesagt, ob die Anschläge mit einem Messer durchgeführt werden oder die Attentäter mit einem Auto in die Menge fahren, sei egal. Konzentriert sich die Debatte jetzt auf Messerverbotszonen und Klingenlängen, geht sie am Thema vorbei.
Die Attentäter werden laut Ihnen auch immer jünger. Was bedeutet das für die Arbeit der Sicherheitsbehörden?
Von den in den letzten elf Monaten in Westeuropa Festgenommenen waren zwei Drittel zwischen 13 und 19 Jahre alt, das ist eine deutliche Verjüngung. Diese Generation - das ist bei Rechtsextremen übrigens ähnlich, die werden auch immer jünger - denkt anders. Auffällig ist, dass Ideologien weniger wichtig sind als früher. Viele glauben, die Gesellschaft hasst sie und sie wehren sich dagegen. Da müsste man vielleicht verstärkt mit Jugendpsychologen zusammenarbeiten, um zu verstehen, was in ihnen vorgeht.
Und: Diese jungen Attentäter radikalisieren sich vor allem im Internet. In den letzten Monaten wurden wieder virtuelle Zellen entdeckt, auch in Österreich, in denen Teenager sich verabredet haben, um terroristische Anschläge durchzuführen. Vor zehn Jahren gab es das so nicht - da ging man davon aus, dass zusätzlich zum Internet meist eine radikale Moschee oder ein Prediger den Ausschlag gegeben hat. Das scheint nicht mehr notwendig zu sein. Man muss hier mit sozialen Medienplattformen zusammenarbeiten, vielleicht auch Druck ausüben. Sicherheitsbehörden sollten dort genauso aktiv sein wie auf der Straße.
Was halten Sie in diesem Zusammenhang vom Einsatz eines „Bundestrojaners“, mit dem die Kommunikation auf Messengerdiensten überwacht werden kann?
Ich halte das für sehr wichtig. Ein großer Teil der Kommunikation zwischen Menschen passiert heute einfach digital. So wie die Polizei schon seit Jahrzehnten das Recht hat, bei Terror-Verdacht Gespräche von Angesicht zu Angesicht abzuhören, muss das auch online möglich sein. Warum das in Österreich so schwierig ist, habe ich noch nie verstanden. Laut dem Vorschlag, der auf dem Tisch liegt, müsste jeder Einsatz von einem Richter unterzeichnet werden. Der Vorwurf, es würde zur Massenüberwachung kommen, ist daher absurd. Ich sage Ihnen voraus: Wenn das kommt, wird es im Jahr nicht mehr als 150 Einsätze geben. Aber diese 150 wären dann wahrscheinlich sehr wichtig.
Der Messerangriff in Mannheim im Mai fand wenige Tage vor der EU-Wahl statt, jener in Solingen unmittelbar vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Auch in Österreich, wo kürzlich drei Taylor-Swift-Konzerte wegen Terror-Gefahr abgesagt wurden, wird bald gewählt. Könnte es da einen Zusammenhang geben?
Es würde mich sehr überraschen. Zwar hat es schon Anschläge gegeben, mit denen die Täter die Wahlen beeinflussen wollten. Das waren aber große Netzwerke und da steckte viel Planung dahinter. Bei den drei Angriffen, die Sie genannt haben, waren es - so viel wir bisher wissen - aber Einzeltäter, bei denen es nur schwache Verbindungen zur Zentrale des IS gab. Meiner Erfahrung nach ist es bei diesen meistens so, dass es für ihre Taten eher persönliche Gründe gibt. Sie schlagen dann zu, wenn sie bereit dafür sind.
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