Analyse: Rekordenthaltung überschattete Macrons Sieg

Emmanuel Macron
Die Partei von Macron errang eine klare Abgeordnetenmehrheit, aber nur 43 Prozent gingen zu den Urnen.

Es ist ein Sieg mit einem bitteren Beigeschmack, den die Partei von Präsident Emmanuel Macron daher nur in bescheidenster Manier zu feiern wagte. Die LRM ("La République en marche") und ihre Verbündeten kamen zwar laut Angaben des französischen Innenministeriums von Montagfrüh auf 350 von insgesamt 577 Nationalrats-Sitzen. Damit übersprangen sie bequem die Hürde der absoluten Mandatsmehrheit (289). Aber die Wahlenthaltung erreichte ein für westeuropäische und französische Verhältnisse ungekanntes Niveau von rund 57 Prozent.

Außerdem blieb die Mandatsmehrheit der LRM unter den von Meinungsforschern kolportierten Prognosen, die die Partei von Macron bereits bei weit über 400 Abgeordneten sahen. Folglich konnten die übrigen Parteien meistens besser standhalten, als sie selber erwartet hatten. Die konservativen "Les Republicains" bewahrten 137 Sitze (zuvor 198).

Das eben erst abgelöste Regierungslager rund um die Sozialisten wird nur mehr mit 45 Mandaten vertreten sein. Die Linksaußen-Bewegung FI ("France insoumise") könnte im Verbund mit der KP auf etwa 26 Sitze kommen. Der "Front National" von Marine Le Pen verbesserte seinen Stand von 2 auf 8 Sitze, kann aber keine eigene Parlamentsfraktion bilden (ab 15 Mandaten).

Der Erfolg der LRM hängt ursächlich auch mit dieser Rekord-Wahlenthaltung zusammen. Diese Enthaltung verstärkte den Katapulteffekt des französischen Wahlsystems: Eine Partei, die im ersten Durchgang nur eine relative Stimmenmehrheit erzielt, kann im zweiten Durchgang zu einer erdrückenden Mandatsmehrheit befördert werden.

Durchzugserlaubnis

Die geschwächten Oppositionskräfte können diese Wahlenthaltung aber auch nicht für sich beanspruchen. Etliche ihrer Anhänger verzichteten bereits im ersten Durchgang auf ihre Stimmabgabe, weil sie dem neuen Präsidenten zumindest eine Chance geben wollten und seiner Partei daher freie Bahn ließen. Seit seinem Sieg bei den Präsidentenwahlen hatte Macron, auch jenseits seiner eigentlichen Anhängerschaft in der Mitte der Gesellschaft, eine Aura des abwartenden Wohlwollens und sogar der vorsichtigen Zustimmung geschaffen.

Das reichte für den ungehinderten Durchmarsch der entschlossenen Bataillone der LRM, die sich den Erneuerungsdrang der noch aktiven Wähler zu Nutze machen konnten. Mit der Partei von Macron haltet eine Masse von jüngeren und zur Hälfte weiblichen Polit-Neulingen im Parlament Einzug.

Kontrollfreak Macron

Erfahrungsgemäß sind große Parlamentsmehrheiten aber für innere Spannungen anfällig. Macron, den auch Freunde als "Kontrollfreak" bezeichnen, hat alle seine Kandidaten, die aus den verschiedensten Gesinnungsgruppen kommen, eine ziemlich verpflichtende Erklärung zur Parteidisziplin unterschreiben lassen. Allerdings hat es dagegen bereits erste Einwände gegeben, zumal die Verfassung den Parlamentariern Entscheidungsfreiheit zusichert.

Die verbliebenen SP-Parlamentarier, meistens Angehörige des pragmatischen Parteiflügels, verdanken vielfach ihr Mandat einem Gnadenspruch von Macron, der in ihren Wahlkreisen keine eigenen Kandidaten nominieren ließ. Eine Reihe der SP-Kandidaten aber auch der "Republikaner" präsentierten sich im Wahlkampf als Angehörige des Lagers des Präsidenten.

Bürgerliche Spaltung?

Unter diesen Umständen könnte es auch jetzt zum Zerfall der bürgerlichen Parlamentarier in zwei Gruppen kommen: Eine, die sich dem Regierungslager anschließt, und eine, die sich als "konstruktive Opposition" formieren will.

Theoretisch hat Macron dadurch freie Hand, um die Reform des Arbeitsmarkts bis Herbst, im parlamentarischen Schnellverfahren, durchzuziehen. Vorgesehen sind zwar dutzende Diskussionen mit den Gewerkschaften, die sich diesbezüglich kritisch bis total ablehnend äußern. Die Staatsführung tritt aber diese Gespräche in einer Position der Stärke an. Sind doch die Gewerkschaften, so wie die französische Gesellschaft insgesamt, nach dem Endlos-Wahlkampf viel zu erschöpft, um sich all sofort in etwaige Proteste zu stürzen.

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