Sushi neben bunten Cocktails, Steaks neben Smoothies aller Art – der 127 Jahre alte Mercado da Ribeira im Zentrum der portugiesischen Hauptstadt Lissabon hat sich großteils in einen mondänen Gourmet-Tempel verwandelt. Sicher, die alten Gemüse- und Fischverkäufer gibt es auch noch auf dem Markt. Doch die haben kaum Kundschaft: Die Einheimischen sind wegen der hohen Immobilienpreise längst weggezogen, die vielen, vielen Touristen, die das Vakuum jetzt füllen, kaufen nichts. Eine Fischhändlerin: „Wenn ich von jedem Touristen, der von meinem Stand ein Foto macht, zwei Euro verlangte, würde ich mehr Geld machen als mit meiner Ware.“
Gegen Europa-Trend
Im Mercado da Ribeira fokussiert sich gleichsam die Entwicklung, die Portugal in den vergangenen Jahren genommen hat: Von einem quasi insolventen Staat, der 2011 nur mit einem 78-Milliarden-Euro-Kredit zu retten war, zu einem mit Zukunftsperspektiven. Dass noch bei Weitem nicht alles eitel Wonne ist, ändert nichts daran, dass der sozialistische Premier António Costa bei den Parlamentswahlen am Sonntag als Erster durchs Ziel gehen und Regierungschef bleiben wird. In den letzten Umfragen lag seine Sozialistische Partei (PS) mit 36 bis 37 Prozent klar voran – entgegen dem sonstigen Trend in Europa, der die Genossen verzweifeln lässt.
Öffentliche Investitionen
„Nach den harten Sparmaßnahmen der konservativen Führung (2011-2015) mit Einschnitten ins Sozialsystem (auferlegt von EU und IWF) hat Costa als Verantwortlicher eines Minderheitskabinetts, unterstützt von den Kommunisten in Allianz mit den Grünen (CDU) und dem Linksblock (BE), gegengesteuert“, sagt der in Lissabon lehrende Politologe André Freire, „er hat unter anderem Investitionen im öffentlichen Sektor forciert, die dort eingefrorenen Gehälter aufgetaut und den Mindestlohn auf 630 Euro angehoben“, so der Experte, der auf Einladung des „forum for journalism and media“ im Haus der EU in Wien einen Vortrag hielt.
Tourismus-Boom
Folgen: Die Arbeitslosigkeit ist von 16,4 Prozent (2013) auf unter sieben Prozent gefallen, wobei sich allerdings unter den neu geschaffenen Jobs viele temporäre und schlecht bezahlte befänden, sagt der Politologe. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das vor sechs Jahren noch um 1,1 Prozent geschrumpft war, legte im Vorjahr um 2,1 Prozent zu. Getrieben sei der ökonomische Aufschwung, so André Freire, speziell von der Exportwirtschaft dem Binnenkonsum und dem Tourismus.
Vor allem der Fremdenverkehr entwickelte sich rasant, wie Besucher Lissabons auch in den Nebensaisonen feststellen können. Die Einnahmen daraus verdoppelten sich seit 2012 auf 16 Milliarden Euro im Vorjahr und tragen bereits acht Prozent zum BIP bei. Die Kehrseite der Medaille: Investoren kaufen die besten Lagen in der Stadt, errichten Hotels oder Hostels oder schaffen modernste Airbnb-Appartements in den besonders begehrten Vierteln wie Bairro Alto mit seinen Fado-Lokalen und Alfama mit ihren winzigen Gässchen. Die Immo-Preise schießen folglich in die Höhe, und alteingesessene Bewohner der Hauptstadt werden vertrieben, weil sie sich die Wohnungskosten im Zentrum nicht mehr leisten können.
Das Asylthema, das das Nachbarland Spanien und andere europäische Staaten massiv beschäftigt, spielt in Portugal keine Rolle. Nicht der Zuzug, sondern die Abwanderung macht dem EU-Mitglied zu schaffen. Auf dem Höhepunkt der Krise verließen zwischen 2011 und 2014 50.000 Menschen jährlich ihre Heimat – auf der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten im Ausland.
Anreize für Rückkehrer
„Es gingen vor allem die hoch Qualifizierten“, sagt André Freire. Jetzt würden sie fehlen, die Unternehmer händeringend nach Fachkräften suchen. Aus diesem Grund hat die Regierung ein Rückkehrpaket geschnürt (insgesamt fristen 1,5 Millionen Menschen ihr Dasein im Ausland, bei „nur“ 10,5 Millionen im Inland): Wer länger als drei Jahre außerhalb Portugals gelebt hat und zurückkehrt, bezahlt für fünf Jahre nur die Hälfte der Einkommenssteuer.
Steuersenkungen generell – das war der Wahlkampfschlager des Parteichefs der Konservativ-Liberalen, Rui Rio. Doch die Strategie verfing nicht, seine Gruppierung mit dem verwirrenden Namen Sozialdemokratische Partei (PSD) kommt samt Verbündeten laut Umfragen bloß auf 30 Prozent. Dagegen setzte sein linker Konterpart paradoxerweise auf die Fortführung des Konsolidierungskurses – und präsentierte sich so als „pragmatischer, verantwortungsvoller Führer“, wie die Politologin Isabel David analysiert. Eine Rechnung, die aufzugehen scheint.
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