Paris ist schreckhaft geworden

Nicht nur der Eiffelturm in Paris wird derzeit schwer bewacht
Trotz der Gefahren strömen die Menschen weiterhin in Bars und Restaurants.

Es gibt nichts, womit man kein Geschäft machen kann. Das ist wohl das Motto der Souvenir-Händler rund um das Einkaufszentrum Les Halles im etwas schäbigeren Teil des ersten 1. Pariser Arrondissements. Vom Louvre sind es höchstens 20 Gehminuten, atmosphärisch aber ist man Kilometer auseinander. Dort thronen Cartier und Chanel, hier herrscht Mexico-Platz-Flair. Billig-Handtaschen mit denselben Designs wie bei uns werden hier verramscht, bloß, dass statt Wien eben Paris draufsteht.

Einkaufszentrum

Ein neues Paris-Souvenir ist seit dem Wochenende dazugekommen: "Pray-for-Paris"-T-Shirts. Eine zynische Geschäftsidee, die vom Schrecken der Stunde profitieren will. Schlecht für den Umsatz ist ansonsten jetzt alles. Unter der gigantischen Baustelle von Les Halles, der ehemaligen Markthalle, befindet sich ein großer Umsteigebahnhof und ein Einkaufszentrum, das trotz Umbaus weiter geöffnet hat. Hier hat auch "Fnac", eine vor 60 Jahren gegründete Handelskette, die auf Bücher, CDs und Unterhaltungselektronik spezialisiert ist, eine große Filiale. Kulturaffine Touristen, Comic-Fans und Filmfreunde wuseln hier herum.

Leicht hinein kommt man dieser Tage allerdings nicht. Frankreich hat Erfahrung mit Terror, die Sicherheitsvorkehrungen im "Fnac" sind Routine. 1986 hat es hier ein Attentat gegeben: Eine Bombe explodierte, mehrere Menschen wurden schwer verletzt. Jetzt hat sich die Sicherheitsroutine noch einmal verschärft. Es gibt nur noch einen Eingang für dieses mehrstöckige, gigantische Geschäft. Wer etwa den neuen Asterix auf Französisch haben will, muss durch enge Gänge an etlichen Sicherheitsleuten vorbei, Handtaschenkontrolle beim Ein- und Ausgang inklusive.

Paris rückt zusammen

Polizei, Soldaten, private Security: Allesamt schwer bewaffnet. Sie prägen jetzt den Alltag in Paris. Umso mehr hat man den Eindruck, dass die Pariser zusammenrücken. Hat es irgendwo einmal das Ressentiment gegeben, die Pariser seien ein ruppiger, wenig herzlicher Menschenschlag? Nun, es lässt sich dieser Tage nicht nachvollziehen. In Paris, so wirkt es jetzt, passt man aufeinander auf.

Ein anderes Vorurteil lässt sich sehr wohl bestätigen: Die Franzosen lieben Wein, Brot und ihre Bistrots. Zu Mittag sind die Lokale voll besetzt wie immer, schließlich legt man Wert auf eine anständige Mittagspause. Doch seit den Attentaten bangen viele Pariser Lokalbesitzer um ihre Zukunft. Die Terrassen im Zentrum waren auch in den vergangenen Tagen gut besetzt, wenn auch schütterer als sonst. Man trinkt, raucht und redet so viel wie immer– aber jedes Mal, wenn es irgendwo scheppert, und sei es auch nur, weil ein Sessel umgefallen ist, zuckt man zusammen. Wenn man eine Polizeisirene hört, macht man sich Sorgen. Paris ist schreckhaft geworden.

#Tousaubistrot – alle ins Bistrot oder #Tousenterrasse – alle auf die Terrasse – lancierten die Lokalbesitzer als Motto für Dienstagabend. Geht aus, lasst euch (und uns) nicht hängen! Viele Brasserien und Bars zeigten die Live-Übertragung des Länderspiels England gegen Frankreich. Und auch hier wurde ein altes Vorurteil – wenn auch wahrscheinlich nur kurzfristig – entsorgt. Jenes von der enden wollenden Sympathie der Franzosen für die Engländer – und umgekehrt. Lokalbesucher jubelten, Fernsehreporter waren entzückt angesichts des Wembley-Stadions, das Trikolore trug und der englischen Fußball-Fans, die mit Mühe, aber umso mehr Inbrunst die Marseillaise intonierten.

Hymne hat wieder Konjunktur

Apropos Marseillaise: Sie hat jetzt wieder Konjunktur. Traditionell haben die Franzosen ein anderes Verhältnis zu ihrer Hymne, und die meisten singen sie so leidenschaftlich, wie das in Österreich höchstens Hans Krankl tut – mit der Hand auf dem Herzen. Die Franzosen tragen ihre Hymne tatsächlich im Herzen, und das liegt nicht nur an der besseren Melodie. Jeder kennt zumindest die erste Strophe.

Die Hymne vereint Sie erinnert sie an Résistance, Revolution und alle Ideale, auf denen der französische Staat und das französische Selbstverständnis basieren. Und doch haben sich immer wieder kritische Töne in den Hymnen-Eifer angesichts des kriegerischen Charakters mancher Zeilen gemischt, wo von unreinem Blut und dem Griff zur Waffe die Rede ist: "Das blutige Banner ist erhoben." Von Serge Gainsbourg über Georges Brassens bis Charles Aznavour und Michel Platini forderten französische Nationalhelden der Gegenwart, man möge diesen anachronistisch anmutenden Text ändern.

Jetzt ist dafür wohl nicht die richtige Zeit. Die Hymne, samt ihren schrecklichen Worten – "Sie kommen bis in eure Arme, um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden" –, ist den Franzosen gerade sehr nahe.

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