Paris: „Gewalt kann jederzeit wieder aufflammen“

Aus Paris Simone Weiler
Er war Lehrer, Schauspieler und Regisseur, ehe Damien Allouch vor drei Jahren zum Bürgermeister der Pariser Vorstadt Epinay-sous-Senart gewählt wurde. Der 45-jährige Sozialist kennt die Wurzeln der jüngsten Unruhen, die durch die Banlieues tobten. Seine Gemeinde zählt 12.500 Einwohner, ein hoher Anteil davon lebt unter der Armutsgrenze. Allouch wüsste, wie so manche Spannungen abgebaut werden könnten.
KURIER: Inwiefern war Ihre Gemeinde von den Unruhen infolge des Todes des 17-jährigen Nahel durch einen Polizeischuss betroffen?
Damien Allouch: Wir erlebten mehrmals heftige Ausschreitungen mit einem Höhepunkt in der zweiten Nacht, als junge Leute die Außenkameras der städtischen Polizei zerstörten und versuchten, das Kommissariat zu stürmen. Ich befand mich zu diesem Zeitpunkt mit einigen Mitarbeitern im Gebäude, und wir konnten es noch schnell verlassen. Andere öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder das Kulturzentrum wurden bei uns nicht angegriffen, aber ein Supermarkt und eine Post wurden geplündert, und an mehreren Stellen wurde Feuer gelegt.
Kennen Sie die Verantwortlichen für die Schäden und für die gelegten Feuer?
Ja, natürlich sind mir diese jungen Leute bekannt, und mit jedem Einzelnen gibt es auch kein Problem. Aber es entwickelte sich ein Phänomen der Gruppen-Gewalt, durch das sie sich mitreißen ließen. Mir ist es aber auch wichtig zu sagen, dass nun sehr viel über die 40 Personen gesprochen wird, die sich an den Krawallen beteiligten, aber nicht über die 1.500 jungen Leute, die friedlich zu Hause blieben.

Damien Allouch ist Bürgermeister in einem Pariser Vorort, der von den Unruhen betroffen ist
Haben Sie Maßnahmen getroffen, um die Situation zu beruhigen?
Ich habe eine nächtliche Ausgangssperre für Minderjährige verordnet. Mir war bewusst, dass sich die Krawallmacher nicht unbedingt daran halten würden, aber ich wollte ein Signal an die Eltern aussenden, damit sie den Ernst der Lage verstehen: Lasst eure Kinder nachts nicht mehr raus, um die Stadt zu terrorisieren! In der Folge war deutlich weniger los. Inzwischen ist wieder Ruhe eingekehrt, aber sie ist äußerst fragil. Gewalt kann jederzeit wieder aufflammen.
Sie gehörten zu einer Gruppe von Bürgermeistern, die Ende Mai in einem offenen Brief an Präsident Emmanuel Macron vor der explosiven Situation in den Banlieues warnten und einen „Notfall-Plan“ forderten.
Uns allen war klar, wie angespannt die Lage in den sozialen Brennpunkten ist, wo die Menschen stark unter der Inflation leiden und teils ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Seit Monaten forderten wir vom Präsidenten ein Konzept für die Stadtviertel mit besonderem Entwicklungsbedarf. Schließlich ließ uns das Kabinett der Premierministerin wissen, dass Präsident Emmanuel Macron nach Marseille fahren und große Ankündigungen machen werde. Er sprach dort zwar über Verbesserungen bei der Schule, aber es fehlte eine Gesamt-Vision. Am nächsten Tag folgte der Tod von Nahel, und die Unruhen brachen aus.
➤ Mehr lesen: "Erschütternde Lage" bei Paris: Rathäuser, Polizeistationen und Schulen in Brand
Was fordern Sie, um die Lage dauerhaft zu verbessern und neue Gewaltausbrüche zu vermeiden? Die Wohnungsfrage ist zentral. In Frankreich gibt es Städte, die die gesetzliche Verpflichtung von 20 Prozent Sozialwohnungen missachten und lieber eine Geldbuße bezahlen als für soziale Durchmischung zu sorgen – diese Strafe muss viel höher werden. Denn bis jetzt konzentriert sich die Armut mit all den zusammenhängenden Problemen oft an einer Stelle. Außerdem fehlen Erwachsene vor Ort. Nun wird mit dem Finger auf die Eltern gezeigt, aber diese gehen meist arbeiten. Tagsüber sind viele Teenager auf sich selbst gestellt. Es gibt einen dramatischen Mangel an Sozialarbeitern, schulischer Begleitung und an Psychologen. Manche Politiker fordern nun mehr Repression oder die Einstellung von Sozialzahlungen für Eltern. Das löst unsere Probleme aber nicht.
Was löst sie dann?
Wir brauchen Investitionen in die Erziehung, die Kultur, den öffentlichen Raum, in den Wohnungsbau. Aber auch einen anderen Blick, denn diese Viertel sind nicht das Problem, sondern der Ort für Lösungen. Diejenigen, die etwas anstellen, muss man verfolgen und sanktionieren, aber zugleich ist es wichtig, die Erfolge der anderen hervorzuheben. Vor zwei Wochen gaben Jugendliche aus unserer Stadt ein Konzert in der Philharmonie von Paris. Fast drei Jahre lang haben sie dafür geprobt, die Instrumente erhielten sie durch ein öffentliches Bildungsprojekt. Das Ergebnis war toll.
Kommentare