Rechtsparteien verbünden sich gegen "Superstaat Europa"
Vorerst ist sie nur Papier – die gemeinsame Erklärung von 16 europäischen Rechtsparteien. Darin verlangen von Ungarns Premier Viktor Orbán über Polens starken Mann Jarosław Kaczyński bis zu FP-Chef Herbert Kickl, Matteo Salvini, Marine Le Pen und andere prominente Rechtspopulisten: mehr Rechte für die Nationalstaaten und weniger EU-Integration. Die „moralische Überaktivität“ Brüssels müsse eingebremst und ein „europäischer Superstaat, der europäische Traditionen zerstört“, verhindert werden.
Was steckt dahinter? „Es wird noch dauern, bis sich die Parteien untereinander koordinieren. Aber früher oder später könnte sich daraus eine Gruppe im Europäischen Parlament bilden“, sagt Julia Partheymüller, Politologin an der Universität Wien.
Die Drittstärksten
Noch sind die rechtspopulistischen und nationalkonservativen Kräfte im EU-Parlament zersplittert. Doch schlössen sie sich zusammen, wäre der Rechts-Block mit einem Schlag hinter Europäischer Volkspartei und Sozialdemokraten die drittstärkste Fraktion. Das hieße: mehr Macht, mehr Ämter, mehr Chancen, ihre Themen zu setzen und mehr Geld für Europas Rechtspopulisten.
„Als Architekt dieser neuen Vereinigung sieht sich Viktor Orbán “, sagt Politikwissenschafter Reinhard Heinisch (Uni Salzburg). Die zwölf EU-Abgeordneten der ungarischen Regierungspartei Fidesz hatten die EVP im letzten Moment verlassen, ehe sie hinausgeworfen werden konnten. Ganz ohne Macht im EU-Parlament geht es aber auch für den ungarischen Premier nicht. Und so versucht Orbán einen gemeinsamen Block rechts der politischen Mitte zu bilden und seine zwölf EU-Abgeordneten einzubringen. Das wäre dann sogar die zweitstärkste Kraft im EU-Parlament.
Doch so weit ist es noch lange nicht: Ob der ungarische Premier weiterhin die Tonlage vorgibt, ist alles anders als sicher. „Unter den Rechtspopulisten gibt es lauter große Egos“, gibt der Experte für Rechtspopulisten Heinisch zu bedenken, „und ob man Orbán da einfach die große Führungsrolle zugesteht, bezweifle ich.“
Eine Vernunftehe
Und auch bei ihren politischen Themen trennt die europäischen Rechtsparteien viel mehr, als sie eint. „Sie sind kein monolithischer Block. Und so wird diese Erklärung der 16 Parteien weniger von einer politischen Logik angetrieben, sondern von der internen Logik, stärker zu werden“, sagt Heinisch. Seine Prognose: „Das wird keine Liebesheirat, eher eine Vernunftehe.“
Da nehmen etwa Orbán, Kickl und Lega-Chef Salvini gegenüber Russland eine freundliche Position ein, ganz anders als die moskau-kritische polnische PiS-Partei oder die skandinavischen Rechtspopulisten.
Nicht einmal bei den in Ungarn und Polen so beschworenen „christlichen Werten“ ist man sich einig. Die FPÖ ist ebenso wenig eine religiöse Partei wie der französische Rassemblement National (früher Front National) oder die „Wahren Finnen“. Und noch mehr: Das in Ungarn verabschiedete Anti-LGBTIQ-Gesetz – „diese Debatte kommt bei Rechtspopulisten in Westeuropa wie eine Diskussion aus der Steinzeit an“, sagt Politologin Julia Partheymüller. Dieses Thema ginge in den Niederlanden, in Schweden, Dänemark, Frankreich gar nicht.
Gegen Immigration
Was also eint Europas Rechts-Parteien? Der Wunsch, Brüssel zurückzudrängen und mehr Entscheidungsgewalt ins eigene Land zurückzuholen. Die Feindseligkeit gegenüber politischen Eliten.
Vor allem aber die Ablehnung von Einwanderung.
Doch schon bei der Frage, wie die Migrationskrise gelöst werden soll, scheiden sich die Geister: Alle südeuropäischen Populisten wollen Flüchtlinge über Europa verteilen – alle anderen Rechten lehnen das ab.
Eine klare Linie sieht Partheymüller vorerst nicht: „Es gibt keinen Vorschlag, wie Probleme konkret zu lösen wären. Eher geht es darum, strategisch Freunde zu suchen, um jeweils seine persönlichen Probleme mit der EU abzuhandeln, als um konkreten Gestaltungswillen. Bei so einem Bündnis handelt es sich um eine Ablehnungskoalition.“
Die Protagonisten
Ungarn. Medien, Justiz, Wahlgesetze, Verfassung – in insgesamt 16 Jahren Regierungszeit hat Viktor Orbán kaum etwas ausgelassen, den Staat zugunsten seines Machterhaltes auszubauen. Als Vehikel diente dem nationalkonservativen Regierungschef dabei eine Serie von Sündenböcken: der Milliardär George Soros, die politischen Gegner, die Flüchtlinge und nicht zuletzt die „übergriffige“ EU. Sein jüngster Vorschlag: Das EU-Parlament abschaffen.
Frankreich. Die Galionsfigur der französischen Rechtsradikalen gab sich zuletzt einen weniger rabiaten Anstrich – und verlor bei den jüngsten Regionalwahlen. Die Chefin des Rassemblement National bleibt aber bei ihren Standpunkten: Frankreich den Franzosen, Austritt aus der NATO, und wenn schon keinen Austritt aus der EU, dann zumindest deren radikale Einbremsung. Als größte Gefahr für den Westen sieht sie die „Islamisierung“.
Polen. Beim erzkonservativen Vizepremier Jarosław Kaczyński laufen alle Fäden von Polens Regierungspolitik zusammen. Der 72-jährige Junggeselle treibt mit seiner PiS-Partei den Umbau des Staates voran. Die Justiz wird immer mehr mit loyalen Regierungsfreunden besetzt. Das hat Polen bereits schwere Konflikte mit der EU eingetragen. Darauf kontert die PiS: Man wolle gegen die „radikal liberale Entwicklung der EU mit ihrer Doppelmoral“ einen Damm bauen.
Österreich. Von einem österreichischen Austritt aus der Europäischen Union ist auch in der FPÖ schon lang keine Rede mehr. Parteichef Herbert Kickl ist der „EU-Zentralismus“ allerdings nach wie vor ein Gräuel. Lieber reiht er sich in „das europaweite Bündnis für freie Vaterländer“ ein. Die 16 rechten Parteien, die in der Vorwoche ihre gemeinsame Erklärung veröffentlichten, erreichten dadurch, so Kickl, „eine noch nie da gewesene Schlagkraft“.
Italien. Vaterland und Familie sind die Themen Giorgia Melonis. Die in ihrer Politik knallharte Chefin der „Fratelli d’Italia“ hat in jüngsten Umfragen erstmals Salvini von rechts überholt. Die Popularitätswerte ihrer „Fratelli“ liegen derzeit bei 20,7 Prozent. Zugutekommt der 44-jährigen Römerin ihre Rolle als Oppositionsführerin. Ihre europa-skeptische Partei ist als einzige der Rechtspopulisten in Italien nicht in Mario Draghis Regierungskoalition.
Italien. Mit seiner simplen Ausländer-raus-Rhetorik sichert sich Salvini derzeit rund 20 Prozent der Wählerstimmen in Italien. Das Raubein der italienischen Rechtspolitik gibt sich als Macho, posiert auch schon mal mit nacktem Oberkörper, küsst aber auch videotauglich gerne Rosenkränze. Seit seine Lega bei Premier Draghis Regierung mitmacht, gibt es der ehemalige Innenminister einen Hauch weniger aggressiv. Geschadet hat ihm sein Zickzackkurs in der Corona-Pandemie.
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