Orbán attackiert Deutschland wegen Asylpolitik
Viktor Orbán hat wieder einmal alle mit einer pauschalen Behauptung brüskiert: „Der Flüchtlingsansturm ist kein europäisches Problem, sondern ein deutsches. Niemand will in Ungarn, Polen oder Estland bleiben, sondern alle wollen nach Deutschland“, sagte er am Donnerstag bei einer Pressekonferenz mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments. Martin Schulz erstarrte und hatte Mühe, Haltung zu bewahren: „Sie sehen, wie uneinig wir uns sind, wie hart unser Gespräch war.“
Schulz machte klar, dass er nichts vom Grenzzaun halte und eine gerechte Verteilung von 500.000 Flüchtlingen auf 508 Millionen europäische Bürger „kein Problem“ wäre. Er fügte aber auch hinzu: „Wer den Schutz der Union will, muss auch damit leben, dass in der Union verteilt wird.“
Zaun auch zu Kroatien
Doch bei Orbáns Deutschland-Attacke allein blieb es nicht: In einem Rundumschlag schob er die Schuld für den Flüchtlingsansturm allen anderen zu. „Die EU macht nichts, es gibt Chaos.“ Ungarn sei dagegen vorbildhaft, erfülle EU-Gesetze, der Stacheldrahtzaun zu Serbien sei die Außengrenz-Kontrolle, er würde auch zum EU-Mitglied Kroatien einen Zaun bauen, wenn nötig. Er wolle nicht zu viele Muslime im Land.
Das Chaos an Bahnhöfen sei der Registrierungspflicht geschuldet. „Das will ja Frau Merkel.“ Die Kanzlerin reagierte ruhig: „Deutschland tut das, was moralisch und rechtlich geboten ist.“
Auch neue Gesetze, die Mitte September in Kraft treten, wie der Einsatz der Armee gegen illegale Flüchtlinge und deren Festhalten im Grenzstreifen, verteidigte Orbán als „Regulierungssystem“.
Einsicht zeigte der rechtskonservative Politiker kaum. Appelle an Solidarität prallten an ihm ab. Selbst sein osteuropäischer Freund, Ratspräsident Donald Tusk, konnte wenig bewirken. Von seinem Vorschlag, 100.000 Flüchtlinge auf alle Staaten fair zu verteilen, ging Orbán nicht im Detail ein. Quoten sind seine Sache nicht. Im Gegenteil, er fühlt sich unterstützt: Am Freitag kommen die Regierungschefs der vier Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) zusammen, um sich abzustimmen gegen ein Quotensystem. „Das bringt keinen Flüchtling weniger nach Europa“, so der slowakische Außenminister. Die Balten sehen das ähnlich.
Der Pole Tusk warnt indessen vor einer Spaltung der EU in Ost und West. „Eine tiefe Kluft geht durch Europa.“ Aber nicht nur durch den Kontinent, die Flüchtlingspolitik vertieft die Kluft zwischen Orbán und Kommissionspräsident Juncker weiter. Am späten Nachmittag kamen sie zusammen, Presse wollte Juncker keine. Er konzentriert sich auf seine neue Migrationsagenda, die er am 9. September vorlegen wird.
Dem ungarischen Premier, der – ebenso wie Juncker – der Europäischen Volkspartei angehört, werden die neuen Vorschläge wohl nicht passen. Trotzig verlangte er vor dem Treffen über Regeln reden zu wollen, dafür sei er nach Brüssel gekommen. „Es geht nicht ums Geld, es geht um EU-Pflichten.“ Acht Millionen Euro will Ungarn aus dem otfallsfonds, Österreich beantragte 5,4 Millionen.
Alarmstimmung
Wie sehr die Flüchtlingsfrage an der politischen Substanz der EU nagt, zeigt die Alarmstimmung im Europäischen Parlament. Abgeordneter Othmar Karas (ÖVP) warnt vor dem Schengen-Ende und damit vor dem Aus für die Reisefreiheit. Für den Menschenrechtssprecher der Europäischen Sozialdemokraten, Josef Weidenholzer, sind die neuen ungarischen Gesetze „inhuman“ und ein „schwerer Verstoß gegen EU-Recht“. Am Donnerstag nächster Woche wird sich eine parteiübergreifende Delegation des Parlaments auf den Weg nach Budapest machen, um sich ein Bild über die sich zuspitzende Lage zu machen. Martin Schulz stellte resigniert fest: „Wir sehen nur nationalen Egoismus, das ist die Bedrohung für die EU.“
Die Lage im Nachbarland beunruhigt seit Tagen auch Kanzler Faymann. Am Freitag lädt er Ungarns Botschafter in Österreich, Janos Perenyi, zu einer Aussprache in sein Büro. Er will ihm klarmachen, dass „Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, ein Recht auf Asyl haben“. Der Kanzler empfindet das Verhalten Ungarns in der Flüchtlingsfrage als unsolidarisch.
Kommentare