Österreichische Pässe für Südtiroler? Wie bei Orban und Putin
Weltweit geht der Trend zu Doppelstaatsbürgerschaften. Warum der Vorschlag der türkis-blauen Regierung, österreichische Pässe für Südtiroler zu ermöglichen, dennoch ein heikler ist, erklärt Rainer Bauböck im Interview. Bauböck ist Professor für politische Theorie am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz und leitet dort das Global Citizenship Observatory.
KURIER: Was will die österreichische Regierung mit dem Vorschlag von Pässen für Südtiroler erreichen?
Rainer Bauböck: In erster Linie will sie ein politisches Signal setzen. Der Vorschlag einer Doppelstaatsbürgerschaft für deutschsprachige und ladinisch-sprachige Südtiroler ist ein alter. Er wurde in der Vergangenheit von der FPÖ ventiliert. Die ÖVP hatte immer Bedenken, aber jetzt will man dieses Projekt als Zugeständnis an den freiheitlichen Koalitionspartner verfolgen. Ich halte es für symbolische Politik und bezweifle, dass Österreich Nutzen davon hat. Die Beziehungen zu Italien werden belastet und auch die Situation für die Südtiroler selbst kann sich verschlechtern. Nämlich dann, wenn das in Italien so interpretiert wird, dass die Menschen, die diese Staatsbürgerschaft annehmen, sich einem anderen Staat zugehörig fühlen und in Frage gestellt wird, dass die Autonomie auf inneritalienischem Recht beruht.
Symbolisch – heißt das, der Vorschlag wird nicht umgesetzt?
Symbolisch, weil es für die Südtiroler keinen Nutzen bringt. Beide Länder sind Mitgliedsländer der EU. Es ändert sich nichts an den Rechten des Einzelnen, außer dem zusätzlichen Wahlrecht in Österreich. Die Parteien, die das wollen, werden versuchen, solche Stimmen bei den nächsten Wahlen einzuholen. Dafür gibt es Präzedenzfälle wie die Politik Viktor Orbans in Ungarn, der die Doppelstaatsbürgerschaft für ungarische Sprachminderheiten in den Nachbarstaaten Serbien, der Slowakei, Rumänien und Ukraine eingeführt hat. Später hat er auch noch das Wahlrecht für Ungarn, die im Ausland leben durchgesetzt und damit seine absolute Mehrheit im ungarischen Parlament zementiert. Da stecken also auch wahltaktische Kalküle dahinter, die natürlich nicht offen ausgesprochen werden.
Die wenigen Wählerstimmen aus Südtirol könnten doch kein Wahlergebnis beeinflussen?
Wahlergebnisse können knapp sein, wie wir in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl gesehen haben, da hätte es sehr wohl etwas ändern können. Und für Parteien sind frische Wählerstimmen am Markt, die also keine Stammwähler sind, immer besonders interessant.
Warum wäre es so heikel, Südtirolern auch den österreichischen Pass zu geben?
Ich halte es grundsätzlich für problematisch, Sprachminderheiten im Ausland, wie den Südtirolern, die Staatsbürgerschaft der Schutzmacht zu geben. Es könnte den Eindruck erwecken, dass die Schutzmacht wenn schon nicht das Territorium, so zumindest die Bevölkerung für sich reklamiert. Das ist eine Politik, die von Putin in extremer Weise im Kaukasus inszeniert wurde. Südossetien, Abchasien, Transnistrien – das sind Territorien, die nicht zu Russland gehören, in denen die Mehrheit aber russische Pässe hat. Eine solche Situation ist extrem destabilisierend. Da gibt es dann auch keine Möglichkeit für freundschaftliche Beziehungen zwischen den Staaten. Das sollten wir vermeiden.
Wer soll dann die Möglichkeit von zwei Staatsbürgerschaften haben?
Grundsätzlich sollten sich Doppelstaatsbürgerschaften nach dem Prinzip richten: Wenn die Lebensinteressen einer Personen mit zwei Staaten verknüpft sind – also wenn es in einem Herkunftsland noch Familie und Grundbesitz gibt oder Rückkehrpläne in dieses Land – dann ist es angebracht, Doppelstaatsbürgerschaft zu ermöglichen. Ist das nicht der Fall, wie eben in Südtirol, dann sollte man besser die Finger davon lassen.
Wie haben Ungarns Nachbarn reagiert?
Die Slowakei hatte ursprünglich Doppelstaatsbürgerschaft toleriert, dann aber das Gesetz geändert: Wer freiwillig eine andere Staatsangehörigkeit annimmt, verliert automatisch die slowakische. Dadurch haben einige Ungarn, die ihr ganzes Leben in der Slowakei gelebt haben, die slowakische Staatsbürgerschaft verloren. Das ist bei Österreich und Italien nicht zu befürchten, weil Italien schon seit 1992 die Doppelstaatsbürgerschaft toleriert. Das Problem lag bisher auf der österreichischen Seite, weil in Österreich weder bei Einbürgerungen noch bei Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft Doppelstaatsbürgerschaften toleriert werden. Jetzt hat die Regierung vor, mit den Südtirolern einer besonders privilegierten Gruppe eine Ausnahmeregelung anzubieten. Und dann gibt es noch eine zweite Gruppe, die Auslandsösterreicher in Großbritannien, die nach dem Brexit befürchten müssen, einen schlechteren Status zu haben als davor. Da schlägt die Regierung vor: Schaffen wir eine Ausnahmeregelung und ermöglichen wir ihnen, die österreichische Staatsbürgerschaft beizubehalten, wenn sie die britische annehmen. Die Regierung versucht also, einzelne Baustellen aufzumachen ohne das Grundprinzip des Verbotes der Doppelstaatsbürgerschaft in Frage zu stellen. Das steht im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten. Ich verweise auf die Niederlande, die bisher wie Österreichs sehr restriktiv waren, jetzt aber sagen: Der Brexit stellt uns vor eine völlig neue Situation. Wir können nicht nur eine Sonderregelung für Niederländer in Großbritannien machen, wir müssen generell das Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft für die erste Generation der Auswanderer und die erste Generation der Einwanderer aufheben.
Die Doppelstaatsbürgerschaft gibt es in Österreich auch für Nazi-Opfer?
Freiheitliche Politiker haben zur Begründung der Einbürgerung von Südtirolern auf jenen Paragrafen verwiesen, der den Opfern der Nazi-Verfolgung den Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft ermöglicht. Die Opfer der Nazi-Verfolgung gleichzustellen mit Südtirolern, die in Italien Autonomierechte genießen, ist einiger Maßen zynisch. Das hat keine rechtliche Grundlage und wenn man diese Analogie herstellt, ist die politische Optik mehr als schief.
Wozu braucht man in der EU heutzutage überhaupt eine Doppelstaatsbürgerschaft?
Freizügigkeit in der EU, Zugang zum Arbeitsmarkt hat man ja auch, wenn man nur eine EU-Staatsbürgerschaft hat. Der einzige zusätzliche Vorteil ist, dass man das nationale Wahlrecht in mehreren Staaten ausüben kann. Für die Parteien ist das, wie bereits gesagt, durchaus interessant.
Wieso hat Österreich generell solch ein Problem mit der Doppelstaatsbürgerschaft?
Es gibt Staaten, die alten Doktrinen aus dem 19. Jahrhundert anhängen, dass die Staatsbürgerschaft so mit einer Ehe vergleichbar ist: So, wie man nicht gleichzeitig mit zwei Partnern verheiratet sein kann, so kann man auch nur einem Staat zugehörig sein. Die Toleranz der Doppelstaatsbürgerschaft ist aber heute ein weltweiter Trend. Das hängt auch mit Globalisierung zusammen und vor allem mit dem Interesse der Auswanderungsländer, nicht die rechtlichen Verbindungen zu ihren Auswanderern zu verlieren. In den Einwanderungsländern gibt es zunehmend die Einsicht, dass die Verpflichtung, eine frühere Staatsbürgerschaft zurückzulegen, wahrscheinlich das gravierendste Hindernis für Einbürgerung ist. Migranten haben grundsätzlich immer Bindungen an zwei Staaten, an das Herkunfts- und das Einwanderungsland und die Doppelstaatsbürgerschaft ist nur die formelle Anerkennung dieser sozialen Tatsache.
Wieso wird bei Iranern und Syrern die Doppelstaatsbürgerschaft toleriert, bei Türken nicht?
Iraner und Syrer können ihre Staatsbürgerschaft nicht aufgeben, auch wenn sie das wollen. Dann wird auch in Österreich bei Einbürgerung die Doppelstaatsbürgerschaft toleriert. Die Türkei hingegen erlaubt es, die Staatsbürgerschaft zurückzulegen. Daher steht Österreich auf dem Standpunkt: Für Türken gibt es keine Doppelstaatsbürgerschaft. Ich halte es aber nicht für sinnvoll, mehrfache Staatsbürgerschaft unter allen Umständen und unbegrenzt zu erlauben. Heute kann man etwa in Malta oder Zypern die Staatsbürgerschaft und damit auch den EU-Pass kaufen, ohne dort dauerhaft zu leben. Das ist eine Entwertung der Staatsbürgerschaft, die laut einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs auf einer „echten Bindung“ zwischen einer Person und einem Staat beruhen sollte.
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