Österreicher in Hongkong: "Es gibt keinen Grund, zu revoltieren"
Die Proteste in Hongkong stoßen nicht überall auf Wohlwollen – etwa bei dem österreichischen Reiseunternehmer Richard Woss, der seit 37 Jahren in Hongkong lebt. Im KURIER-Interview erklärt er, warum ihm und anderen Hongkongern vor allem die gewalttätigen Proteste Sorgen bereiten.
KURIER: Findet in Hongkong derzeit eine Revolution statt?
Richard Woss: Nein. Als Revolution verstehe ich es, wenn ein unterdrücktes Volk aufbegehrt, wenn die Freiheit nicht mehr vorhanden ist. Wie etwa in den Farbenrevolutionen dieses Jahrhunderts. Doch all diese Voraussetzungen sind in Hongkong nicht gegeben, es gibt keinen Grund, zu revoltieren.
Die Demonstranten sagen, dass sie Angst davor haben, ab 2047 – wenn der Autonomiestatus Hongkongs endet – unterdrückt zu werden. Darum würden sie bereits jetzt auf die Straße gehen.
Sie setzen alles aufs Spiel und das mit der Unvernunft eines Teenagers. Bis 2047 hat sich China international dazu bereit erklärt, dem Konzept „Ein Land, zwei Systeme“ treu zu bleiben. Nach 2047 ist alles aufgehoben. Alles für 27 Jahre aufs Spiel zu setzen ist ein Unsinn, denn auf 2047 folgt 2048, wo China machen kann, was es will. Alles aufs Spiel zu setzen ist völlig naiv, denn die Chancen sind gleich null, die chinesische Regierung zu stürzen. Was die Randalierer angerichtet haben, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Im Übrigen blickt man viel zu wenig auf den Aspekt „Ein Land“. Peking ist die Hauptstadt, Hongkong gehört zu China und hat das Privileg – nicht das Recht –, in seinem System zu leben. Auch wenn Peking dieses Privileg zähneknirschend zugesichert hat, so hat es dennoch sein Versprechen gehalten.
Laut einer Umfrage unterstützen 70 Prozent der Hongkonger die Proteste…
Die Proteste und die Randalierer sind zwei verschiedene Dinge. Ich bin voll und ganz für das Demonstrationsrecht, sofern es angemeldet und gesetzlich gesichert ist. Es mag sein, dass die friedlichen Proteste diese Unterstützung hatten. Aber mit Sicherheit nicht die Randalierer. Wenn man in der Umfrage fragen würde, ob man für Vandalismus sei, wäre fast niemand dafür.
Waren die Proteste anfangs, als sie noch friedlich waren, gerechtfertigt?
Ja, das waren sie definitiv. Freie Meinungsäußerung ist im Hongkonger Gesetz fest verankert. Und die Hongkonger Regierung hat inkompetent agiert, indem sie das Auslieferungsgesetz in aller Eile durchgeboxt hat. Meiner Meinung nach mehr aus Unvernunft als aus böser Absicht. Dieses Gesetz war für einen gewissen Teil der Bevölkerung, der China misstraut, ein rotes Tuch. Doch die Regierung hat sich demütig entschuldigt, Carrie Lam hat bekräftigt, das Gesetz sei tot. Das zeigt für mich, wie demokratisch Hongkong ist.
Wie lange wird sich Peking die Proteste noch gefallen lassen?
Es gibt gewisse Schichten der Hongkonger Gesellschaft, die mittlerweile ein Eingreifen Pekings fordern, denn die Hongkonger Polizei (besteht aus 30.000 Mann, Anm.) sei überfordert. Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert, denn eine Intervention würde Hongkong massiv schaden. Grundsätzlich wäre es im Gesetz verankert – die Hongkonger Regierung müsste darum bitten. Doch zu Ihrer Frage: Peking wird sich nicht auf dieselbe Stufe mit diesen Schülern (meint Demonstranten, Anm.) stellen lassen und der Öffentlichkeit zeigen, dass die Proteste es so stören. Bis es zu einer militärischen Intervention kommt, dürfte es noch länger dauern. Jedoch begeht China am 1. Oktober sein 70. Jubiläum – und wird sich auf jeden Fall bis dahin etwas einfallen lassen.
Viele Demonstranten, auch viele friedliche, sagen, sie hätten Angst davor, im Kommunismus zu leben. Wäre das ab 2047 der Fall?
Wenn man heute über die chinesische Grenze fährt, sieht man in großen Städten mehr Ferraris und Mercedes-Benz als in jeder europäischen Stadt. Vom Kommunismus in der DDR oder Nordkoreas ist China sehr weit entfernt. Die Regierung hat 600 Millionen Menschen von der Armut in den Mittelstand gebracht. Außerdem ist China die größte touristische Macht der Welt – den Menschen ist es möglich, die ganze Welt zu bereisen. Und zauberhafter Weise kommen sie wieder zurück nach China, obwohl sie die „Verlockungen der westlichen Welt“ zu sehen bekommen. Und wer sagt, die Chinesen seien so gehirngewaschen: Ich kenne China gut, der Lebensstandard ist für viele besser als in Hongkong, weil die Lebenskosten viel geringer sind. Es gibt keinen Chinesen, der dumm genug ist, sich abseits der staatlichen Medien zu informieren. Er kann natürlich gewisse Tabus nicht brechen, muss gewisse Sachen akzeptieren – etwa die Regierung nicht zu beleidigen.
Sie sind selbst in der Tourismusbranche. Inwiefern betrifft die Krise Ihr Geschäft?
Sehr. Es gibt eine schweigende Mehrheit – zu der ich mich zähle –, die auf das Gesetz vertraut, ihre Hoffnung in die Verwaltungsorgane setzt. Wir unterstützen die Polizei und wissen, dass diese nicht auf die Falschen einschlägt. Gott sei Dank ist bis jetzt noch niemand ums Leben gekommen. Der Tourismus spürt eine Krise immer zuerst. Bis diese dann auf andere Sektoren durchsickert, vergehen ein paar Monate, aber die Krise kommt mit voller Härte. Von den 60 Millionen Touristen sind 30 Millionen Festlandchinesen. Und diese bleiben weg, weil sie Angst davor haben, verfolgt und beschimpft zu werden.
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