Obamacare: "Verhasster Papierkrieg"

Das US-Gesundheitssystem ist mangelhaft und teuer.
Die Amerikaner haben immer noch kein akzeptables Gesundheitssystem.

"Die USA sind das einzige westliche Industrieland, das es nicht schafft, ein öffentliches Gesundheitssystem einzuführen", ärgert sich Matthew, Sozialrechts-experte und Anhänger der linksdemokratischen Bernie-Sanders-Bewegung.

Tatsächlich hat auch die unter Barack Obama erstmals eingeführte allgemeine Krankenversicherungspflicht massive Mängel. Im Unterschied zu Österreich sind amerikanische Arbeitgeber nicht verpflichtet, ihre Arbeitnehmer zu versichern, außer es handelt sich um Betriebe ab 50 Mitarbeitern (oder es ist in Tarifverträgen vorgesehen). Kleine Betriebe versichern ihre Mitarbeiter sehr oft nicht. Das bedeutet: Die Pflicht, Beiträge zu zahlen, trifft oftmals nur die Arbeitnehmer. Versichern sie sich nicht, drohen Strafen.

Zweiter Unterschied zu Österreich: Es gibt keine öffentliche Krankenkasse, sondern nur private Versicherungsunternehmen.

Dennoch ist die Versicherungspflicht ein Fortschritt. Die positiven Auswirkungen von "Obamacare" sind, dass nun tatsächlich bedeutend mehr Menschen krankenversichert sind. Das neue System hat eine Lücke geschlossen: Die Mittellosen hatten schon zuvor eine staatlich finanzierte medizinische Notversorgung ("medicaid"). Wohlhabende oder Arbeitnehmer in Großbetrieben hatten ihre Privatversicherungen. Nun kommen auch jene in den Genuss eines Versicherungsschutzes, die zu viel verdienten, um in das Armenprogramm zu fallen, aber zu wenig, um sich eine Versicherung leisten zu können.

Lieber sterben als Schulden machen

Helen, 62 Jahre alt und Mutter von drei nunmehr erwachsenen Kindern erzählt, dass sie zwei Mal erlebte, dass Frauen lieber starben als Krebsgeschwüre operieren zu lassen. "Es waren Mütter von Schulfreunden meiner Kinder. Sie sagten, sie könnten es nicht verantworten, ihren Familien 200.000 Dollar Schulden aufzubürden", sagt Helen, von den Erinnerungen zu Tränen gerührt. "Diesen Wahnsinn gibt es zum Glück nicht mehr."

Die Kritik an Obamacare entzündet sich an der Praxistauglichkeit. Helen: "Die Monatsprämien sind zwar gesunken, weil mehr Menschen in das System einzahlen. Aber dann geht die eine Versicherung pleite, und die andere schnalzt die Prämien plötzlich um 20 Prozent hinauf, weil das Geld knapp wird. Dann hängen wir wieder alle im Internet und suchen eine neue, leistbare Versicherung, und das Ganze beginnt von vorne."

Matthew sagt, die Privatversicherungen seien bei den Patienten "verhasst", weil es deren Geschäftsmodell sei, den Versicherten möglichst wenig auszubezahlen: "Als Patient muss man sich auf riesigen Papierkrieg einlassen, wenn man will, dass etwas bezahlt wird. Manchmal bekommt man im Nachhinein mitgeteilt, dass sie eine Behandlung ablehnen, und man muss mit ihnen ums Geld streiten. Manchmal muss man vor dem Arztbesuch fragen, ob eine Behandlung oder ein bestimmter Arzt genehmigt werden. Die zuständige Person, die das entscheiden soll, sitzt oft Hunderte Meilen weit weg. Wie soll diese Person ein Gespür haben, ob eine bestimmte Behandlung gerechtfertigt ist, wenn sie den Patienten nicht einmal ansieht?" Auch die Mitarbeiter in den Arztpraxen seien "hauptsächlich mit dem Ausfüllen von Formularen beschäftigt", erzählt Matthew.

Die privaten Krankenversicherungen sind, weil sie um ihre Kunden werben müssen, auch teurer als öffentliche wie in Österreich. In den USA fließen mehr als 20 Prozent der Versicherungsausgaben in "Verwaltung" inklusive Werbung, in Österreich sind es vier Prozent. In Europa macht außerdem die Politik Druck auf die Pharma-Industrie, Medikamente billiger herzugeben. "Die exakt gleiche Pille, die in Großbritannien für 66 Cents verkauft wird, kostet die Amerikaner 750 Dollar. Das ist simple, pure Gier", wettert der Links-Demokrat Bernie Sanders.

Auf Druck seiner Bewegung haben die Demokraten nun das "Single Payer"-Modell in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Das entspricht in etwa dem österreichischen Modell öffentlicher Krankenkassen.

Den Republikanern hingegen geht sogar das mangelhafte Obamacare zu weit: Jeder "Zwang" , sagen sie, sei "Kommunismus".

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