Lokalaugenschein in New York: Im Schatten der Glastürme

Wohnraum ist Mangelware in New York, und die Preise schießen in obszöne Höhen.
Geldgierige Hausbesitzer ekeln arme Mieter aus den Wohnungen. Idealistische Anwälte kämpfen dagegen. Lokal-Augenschein in Northern Manhattan.

Pedro verdingt sich sein Auskommen mit Zustelldiensten. Mit dem Fahrrad zieht er durch die Straßen von Northern Manhattan, um Waren abzuliefern. Einen Teil seines Einkommens schickt Pedro nach Hause in die Dominikanischen Republik zum Unterhalt seiner Familie.

Auf Höhe der 175. Straße, bei den Washington Heights, gibt es noch ein Stück altes, nicht gentrifiziertes Manhattan. Gemeinsam mit anderen Zuwanderern bewohnt Pedro hier eine Wohnung, für die 500 Dollar Monatsmiete adäquat wären. Abgepresst hat ihm der Vermieter 2000 Dollar. Über Jahre hinweg.

Pedro ist kein Einzelfall. Seit mehr als 150 Jahren ist New York ein Hafen der Hoffnung für Arme und ein Mekka für Reiche. Die Stadt wächst ununterbrochen, Wohnraum ist Mangelware, und Milliardäre aus aller Welt treiben die Preise in obszöne Höhen. Um die hundert Millionen Dollar blättern Superreiche für ein Luxus-Appartement in einem der neuen Glastürme in Midtown Manhattan hin.

Im Schatten der Glastürme lebt es sich weit ungemütlicher. "Wir haben schon viel Schreckliches gesehen", erzählt Mark, Anwalt bei einer Agentur, die sich um Mieter mit geringem Einkommen kümmert. Weil genügend Leute bereit sind, für eine Wohnung, die eigentlich nur 700 Dollar Miete wert ist, 3000 bis 4000 Dollar auf den Tisch zu legen, ist der Druck auf arme Mieter enorm. Und das Arsenal geldgieriger Hausbesitzer, um arme Mieter rauszuekeln, ist vielfältig. Es werden Ratten in den Häusern platziert, Mieter mit Kampfhunden bedroht, der Strom abgedreht, oder die Häuser einfach dem Verrotten preisgegeben.

Um die Rechte Betroffener kümmern sich drei, vier Agenturen in New York, eine ist die Northern Manhattan Improvement Corporation mit einem Team von zehn Anwälten.

New York hat zwar ein Mietrecht, das leistbares Wohnen garantieren soll. Das Gesetz ist jedoch lückenhaft, sehr kompliziert und für Nicht-Juristen kaum verständlich. Somit ist Betrug Tür und Tor geöffnet.

Wenn irgendwo in der Gegend eine Immobilie zu überhöhtem Preis den Besitzer wechselt, wissen die Anwälte von Northern Manhattan, dass Arbeit auf sie zukommt. Die häufigste Methode, um Mieter loszuwerden, ist, sie wegen einer Fadenscheinigkeit zu klagen. Dann beginnt ein ungleicher Kampf: Die Anwälte reicher Hausbesitzer gegen Mieter, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können. Wenn ein Mieter vor Gericht verliert und zwangsdelogiert wird, fangen die Probleme erst richtig an. "Es ist kaum möglich, wenn man einmal eine Wohnung verliert, eine neue, leistbare Wohnung in der Nähe zu finden. Da muss man in die Bronx oder die Stadt verlassen und verliert sein ganzes Netzwerk", schildern die Anwälte das Drama ihrer Klienten.

Die Anwaltsagentur wird aus öffentlichen Mitteln des Staats und der Stadt New York finanziert. Entstanden ist die Idee in den 1980ern, als eine Gruppe von Anwälten beim Verfassungsgerichtshof von New York ein Urteil erwirkte, wonach es für arme Familien ein Recht auf Unterkunft gibt. Damals gab es enorm viele Obdachlose, Kinder hausten in den Straßen. Nach diesem Erkenntnis bekamen sie Unterkunft. Obwohl die Unterkünfte schrecklich waren, kosteten sie die Stadt enorm viel Geld, weil es einfach keinen Platz für diese Leute gab. Um das Jahr 1990 kam jemand auf die Idee und sagte: Wenn wir verhindern, dass die Leute zwangsdelogiert werden, haben wir das Problem mit den Unterkünften nicht. Es würde die Stadt weniger kosten, Anwälte zu bezahlen, die diese Leute vertreten, als Unterkünfte zu finanzieren.

Seither werden Dienstleistungsagenturen wie Northern Manhattan gefördert. Bürgermeister Bill de Blasio will das Service von armen Familien generell auf Arme ausweiten. Analog dem Recht auf einen Strafverteidiger soll ein Recht auf einen Beistand in Zivilrechtssachen eingeführt werden.

Für Pedro ging die Sache gut aus. Die Anwälte gewannen sein Verfahren und erstritten für ihn 200.000 Dollar.

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