Neuseeland: Die Volksseelen-Trösterin
Am Tag danach war sie da. Sie als Person, nicht als Repräsentantin einer politischen Elite, die einen lästigen Termin wahrnimmt. Es war Jacinda Ardern, die da als sie selbst in Christchurch vor Hinterbliebenen stand, mit Vertretern der muslimischen Gemeinschaft sprach, Trauernde umarmte. Premierministerin Neuseelands – aber in erster Linie: Mensch. Mitgenommen sah sie aus. Betroffen. Müde. Aber der Trip nach Christchurch war ihr offensichtlich keine lästige Pflicht, viel eher schien er ihr ein Bedürfnis zu sein. Und: Wenn immer sie sprach, wählte sie ihre Worte so, dass es kein „wir und ihr“ gab, sondern nur ein großes „wir alle“.
Donald Trump hielt sie einmal für die Frau von Justin Trudeau. Und dann rief er sie an am vergangenen Freitag nach den Schüssen auf muslimische Gläubige in Christchurch. Auf die Frage, was die USA zur Hilfe anbieten könnten soll Jacinda Ardern gesagt haben: „Sympathie und Liebe für alle muslimischen Gemeinschaften.“ Trump antwortete mit einem tweet: „Wir lieben dich Neuseeland!“
Danach verstieg er sich in eine mehrstündige Twitter-Orgie, in der er den Nationalen Notstand wegen der Einwanderung verteidigte, Trump-Satiriker prügelte um zu guter Letzt die Wiedereinsetzung eines Fox-News-Moderators zu fordern, der einer Kopftuch-tragenden Kongressabgeordneten einen Mangel an Loyalität zu den USA vorgeworfen hatte. Während Trump derart mit sich selbst beschäftigt war, tauchte Jacinda Ardern in Christchurch auf – mit Kopftuch und einer Mission: Das Land nach einem beispiellosen politisch motivierten Massaker zusammenhalten. Es waren keine großen Worte die sie dabei schwang, keine lauten Brandreden, die sie hielt. Viel eher stille Gesten.
Als politisches Leichtgewicht war sie zuweilen belächelt worden. Als eine, die es verstehe mit guter Laune und Charme Inkompetenz zu übertünchen. Eine politische Grinsekatze. Doch Jacinda Ardern suchte den Ausgleich mit dem Maori, reformierte das Steuersystem, lebte im Amt bisher konsequent Multilateralismus, trat für Umweltschutz ein und war keinesfalls Konfliktscheu, wenn es um ihre Anliegen ging. Selbst bezeichnete sie sich als Sozialdemokratin, als Progressive, als Republikanerin, als Feministin und (sie wuchs in einer Mormonenfamilie auf) Agnostikerin.
Nur wenige Wochen vor der Parlamentswahl 2017 hatte sie die Führung der in Umfragen desaströs liegenden Labour-Partei übernommen. Sie gewann die Wahl, schmiedete eine Koalition mit der rechtspopulistischen Partei „Neuseeland zuerst“, die von den Grünen unterstützt wird – und wurde Premierministerin. Ihre Gegner schwiegen vorerst einmal – für kurze Zeit. Um dann aber umso härter zuzuschlagen.
Am 19. Jänner 2018 gab Jacinda Ardern ihre Schwangerschaft bekannt. Und die Folge war ein Testosteron-Wirbelsturm schlimmster Güte. Zu viel sei das, abgelenkt werde sie sein, falsche Prioritäten setzte sie. Die Liste der Vorwürfe ihrer Gegner ließe sich fortsetzen. Jacinda Ardern saß das aus. Äußerlich anscheinend unbeeindruckt – und tat ihre Arbeit.
Das tut sie auch jetzt. Das Waffengesetz soll rasch verschärft werden. Ein lange gehegter Wunsch Arderns, den ihr bisher aber ihr Koalitionspartner versagte. Die Familien der Hinterbliebenen sollen finanzielle Hilfen bekommen. Die Kosten der Beerdigungen soll der Staat übernehmen. Letzteres sind Gesten. Aber Gesten, die in dieser Situation funktionieren. Neuseeländische Musime werden nicht müde zu betonen, dass sie mehr denn je Neuseeland als ihre Heimat betrachten – als verschwindend kleine Mindehreit. Und Arderns Gegner? Die schweigen derzeit.
„Sie werden mich nicht seinen Namen aussprechen hören“, so Ardern am Dienstag. Wonach der Attentäter von Christchurch suche, sei eine Überhöhung seiner Person, Anerkennung, Aufmerksamkeit, eine Plattform für seine Ideen. Und das werde sie ihm nicht bieten.
Eine Krise wie diese kann man nicht aussitzen. Und die Aufgabe, das Land zusammenzuhalten, hält noch viele Fallstricke bereit. Da ist die Koalition mit einer Partei, mit der es großes Streitpotenzial gibt. Da sind ihre verbissenen Gegner. Die derzeitige Sympathiewelle wird abebben. Aber eines hat Jacinda Ardern definitiv vorgelebt: Wie man führen, wie man eine Krise bewältigen kann. In einer Art und Weise, dass manche der Neid frisst. In Australien hat Arderns Art Politik zu machen jedenfalls zu einem lauten Aufschrei einer jungen, liberalen Generation gegen eine alte, verkrustete, latent rassistische Politikerelite geführt. Und das in einer heiklen Phase: Denn in Australien finden im Mai Parlamentswahlen statt.
Kommentare