Neue Ministerin unter Beschuss: „Pack deine Sachen“
Amel Karboul ist ein weiblicher Tausendsassa. Sie spricht sieben Sprachen, hat Maschinenbau studiert, pflegt gute Kontakte zum „Westen“, verfügt über jahrelange Berufserfahrung. Und das alles mit 40. Dann ist sie auch noch eloquent und fotogen. Und sie hat die Welt bereist. Doch genau das flog ihr in den vergangenen Tagen um die Ohren.
Karboul ist in Tunis geboren und aufgewachsen. Zum Studieren ging sie nach Deutschland. In einem Interview mit der Welt erzählte ihr deutscher Ehemann Marcus Gottschalk die Geschichte von ihrem ersten Tag an der Universität: Dass im Vorlesungssaal fast ausschließlich Männer saßen, habe die Tunesierin im Westen schwer überrascht. Heute ist sie Diplom-Ingenieurin und zweifache Mutter. Sie arbeitete bei Mercedes und später als Unternehmensberaterin, 2007 gründete Karboul ihre eigene Firma Change, Leadership & Partners.
Ihre Tätigkeit dort legte sie jetzt aufs Eis. Denn sie wurde Ende Jänner vom tunesischen Übergangspremier Mehdi Jomaa zur Tourismusministerin ernannt. Die Frau, die Französisch, Deutsch, Englisch, Spanisch und Griechisch spricht, soll Tunesien wieder zu gewohnten Höhen als Urlaubsland verhelfen. Der Tourismus hat enorm unter der Instabilität nach den Aufständen gelitten. „Ich möchte nicht nur die kommende Saison retten, sondern die nächsten zwanzig“, sagte Karboul im Radio.
Rauer Wind
Doch schon ein paar Tage später wehte ihr eisiger Wind entgegen. Nicht etwa, weil sie kein Kopftuch trägt oder mit einem Deutschen verheiratet ist. Es geht um ein Prinzip, das in der arabischen Welt noch viel heikler ist: Karboul war in Israel. Sie sei wegen eines UN-Programms für palästinensische Jugendliche über Tel Aviv angereist. Das Training konnte aber nicht stattfinden, weil die Delegation stundenlang am Flughafen aufgehalten worden war.
Dennoch hat die Reise für viel Aufsehen gesorgt. „Pack deine Sachen und verschwinde!“, soll der parteilose Abgeordnete Brahim Gassas in Richtung Karboul gesagt haben. Sowohl säkulare, als auch konservative Politiker schlossen sich der Kritik an. Nach Israel zu reisen bedeute, den Staat anzuerkennen oder gar die Normalisierung der Beziehungen anzustreben. Letzteres wollen einige Kräfte in dem muslimischen Land sogar kriminalisieren. In der neuen Verfassung ist das zwar nicht enthalten. Aber immerhin heißt es in der Präambel, dass das tunesische Volk Freiheitsbewegungen unterstützen solle, „an deren Spitze die Befreiung Palästinas steht“.
Karboul reichte ihren Rücktritt ein, doch Präsident Jomaa akzeptierte das nicht. In einer Online-Petition fanden sich zudem mehr als 1000 Unterstützer der weltoffenen Ministerin.
„Manchmal habe ich das Gefühl, was ich in einer Woche mache, erleben andere nicht mal in einem Jahr“, sagte Karboul der Welt. Ministerin werden, Kritik und Beleidigungen ernten, den Rücktritt einreichen, doch im Amt bleiben – so etwas erlebt tatsächlich nicht jeder binnen einer Woche.
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