Zahlenschlacht in Europa: Die massive NATO-Aufrüstung und ihre Probleme

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Europas NATO-Staaten werden beim Gipfel in Den Haag ein gigantisches Aufrüstungspaket beschließen - bis daraus Waffen werden ist noch ein weiter Weg.

Es war eigentlich eine Milchmädchenrechnung, doch das Ergebnis sorgte für Aufsehen. 6000 Euro, rechnete ein belgischer Wirtschaftsexperte kürzlich im TV vor, würde jede Familie des Landes in Zukunft pro Jahr fürs Militär ausgeben. Das sei mehr als für Lebensmittel.

Diese Zukunft, die fängt schon am Dienstag an. Dann nämlich werden die Regierungschefs aller NATO-Staaten in Den Haag ihre Unterschrift und die Aufrüstungspläne der Allianz setzen - mit jener Zahl, die US-Präsident Donald Trump seit langem fordert: Fünf Prozent.

So groß ist der Anteil des BIP, also der nationalen Wirtschaftsleistung, die jedes der 32 NATO-Länder fürs Militär ausgeben soll. 3,5 Prozent davon gehen für Waffen und Soldaten auf, der Rest fließt in die Infrastruktur, die auch den Streitkräften zu Gute kommt: Eisenbahnen, Autostraßen, Stromnetze, Schutz vor Hackerangriffen auf die Computernetzwerke staatlicher Einrichtungen.

Es geht also um rund 900 Milliarden Euro, die Europas NATO-Staaten von nun an jährlich für ihre Sicherheit ausgeben sollen. Für Trump ist das nicht mehr verhandelbar. Also müssen die Regierungschefs aller Mitglieder zustimmen. Diese Einstimmigkeit hat Spaniens Regierungschef Sánchez in letzter Mi nute gefährdet. Spanien - das Land ist bei Militärausgaben ohnehin seit Jahren im Rückstand - werde das Ziel wohl nicht erreichen. Den anderen im Weg stehen, etwa durch eine Blockade des Vertrags, schloss der Spanier allerdings aus. Zu groß ist die Angst, der US-Präsident könnte dann seine Drohung wahr machen, aus der NATO aussteigen und die Europäer ohne US-Schutz zurücklassen.

Doch mit 32 Unterschriften und den dazugehörigen astronomischen Zahlen, ist es nicht getan. Das weiß man in Europa und vor allem in den großen NATO-Ländern, die auch in der EU in Richtung Aufrüstung marschieren.

„Sonntagsreden“

Allen voran Deutschland. Die neue Regierung von Friedrich Merz hat bereits klar gemacht, dass man für Militär und die Modernisierung der bekannt ramponierten deutschen Infrastruktur Milliarden in die Hand nehmen will - auch über die lange unverrückbaren Schuldengrenzen hinweg. Die EU hat ja ihren Mitgliedsländern ebenfalls die Budgetregeln gelockert, wenn sie dafür in Sicherheit investieren.

„Viele glauben ja, wir müssen nur das Geld ausgeben und dann klappt das schon, mit der Sicherheit“, gibt sich Niclas Herbst gegenüber dem KURIER skeptisch. Der EU-Abgeordnete sitzt für die deutsche CDU in den entscheidenden Ausschüssen für Sicherheit. Seine Lehre aus den letzten Monaten, in denen er sich intensiv mit denen Plänen für Deutschlands Aufrüstung beschäftigt hat: „Was wir in den Sonntagsreden sagen, das passt nicht zur Realität.“ Herbst kennt die praktischen Probleme bei der Umsetzung der Verteidigungspläne im Detail. Schnell und gemeinsam sollen die Europäer neue Waffen anschaffen, vom Kampfpanzer bis zur Drohne.

Militärs im Alleingang

Dafür aber müssten die Militärs umdenken und enger zusammenarbeiten, erklärt der Sicherheitsexperte. Die aber seien es eben gewohnt, in engen nationalen Grenzen zu denken. Dazu kommt eine Rüstungsindustrie in Europa, die seit vielen Jahren in kleinen Stückzahlen sehr teure Waffen herstellt. In Zukunft sollen es viel größere Stückzahlen für viel günstigere Preise sein. Dafür aber fordern viele der großen Rüstungsfirmen langjährige Verträge mit Garantien. Kleinere Firmen wiederum bekämen immer noch keine Kredite bei ihrer Bank, wenn sie eine neue Fertigung hochziehen wollen.

Milliarden an Steuergeld sind also bald im Spiel um die Aufrüstung in Europa. Und die Gefahr, die etwa Hannah Neumann, Sicherheitsexpertin der Grünen im EU-Parlament sieht, „ist, dass wir einen Haufen Geld beim Fenster hinausschmeißen - für zu wenige zu teure Waffensysteme.“

Dass Europa aufrüsten muss, in Zeiten des Krieges in der Ukraine und einer auf Krieg gepolten russischen Wirtschaft, daran hat auch die Grüne keinen Zweifel: „Für das Geld, das wir ausgeben, müssen wir aber auch die Sicherheit bekommen, die wir brauchen. Die aber gibt es nur, wenn wir endlich gemeinsam handeln in Europa.“

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