Milliarden für Rüstung - und Kritik an der Neutralität: Was die EU jetzt plant

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Selten traf ein so häufig genutzter Stehsatz die Situation in der EU in diesen Tagen so genau.
Donnerstag spät am Abend beendeten die EU-Staats- und Regierungschefs ihren Sondergipfel zum Thema Verteidigung: Mit einem klaren Bekenntnis zur Aufrüstung Europas, vor allem aber der Finanzierung dieser Mammutaufgabe. In genau zwei Wochen werden sie wieder vor dem EU-Ratsgebäude in Brüssel vorfahren – und dann sollen die jetzigen Beschlüsse in Zahlen und Fakten gegossen sein. Ein genauer Plan dafür soll bis zu diesem Gipfel von der EU-Kommission ausgearbeitet werden.
"In der heutigen Lage ist es für ein EU-Mitglied nicht möglich, neutral zu sein. Das ist moralisch nicht vertretbar"
EU-Verteidigungsausschuss
800 Milliarden Euro an Ausgaben für die Verteidigung: Das ist die noch recht simple Rechnung, die die Kommission angestellt hat und die EU-Spitzen am Donnerstag abgesegnet haben. Den Großteil dieser Unsumme sollen die Nationalstaaten schultern. Das über den Daumen gepeilte Ziel sind 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung jedes Landes an Ausgaben für Verteidigung.
Brüssel deckt den Staaten den Rücken, indem es für diese Ausgaben die Obergrenzen für Budgetdefizite und Staatsverschuldung lockert. Geld, das ins Militär fließt, wird aus der Budgetrechnung herausgenommen. Aus Österreich etwa kann sich so höhere Ausgaben für das Bundesheer leisten, ohne dabei wieder ein Defizitverfahren der EU befürchten zu müssen. Außerdem bürgt die EU für Kredite, die die Staaten aufnehmen – vorerst bis zu einer Gesamthöhe von 150 Milliarden Euro.
„Ein erster Schritt“
So eindrucksvoll diese Zahlen scheinen, für viele ist sind die Pläne zu vage und zu kurzfristig. Einen „ersten Schritt“ nennt es etwa Polens Regierungschef Donald Tusk. Warum, das macht Siegfried Muresan, rumänischer Christdemokrat und einer der wichtigsten Finanzpolitiker des EU-Parlaments deutlich. Um Europas Streitkräfte sinnvoll und mit europäischen Waffen aufzurüsten, brauche es erstens gemeinsame Beschaffung von Panzern bis zu Drohnen und zweitens eine langfristige Planung. „Die Rüstungsfirmen wollen Planungssicherheit, wenn sie eine neue Produktionen aufbauen sollen.“ Die Schulden-Obergrenzen begrenzt zu lockern, sei gut, aber die bisher geplanten vier Jahre zu kurz. Die Planungen für das langfristige EU-Budget, die heuer beginnen, müssten höhere Ausgaben für Verteidigung vorsehen. Was jetzt entschieden worden sei, „wird noch lange nicht genug sein“.
Militärausgaben
Durchschnittlich geben die
EU-Staaten 1,9 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus. Die USA 3,4 Prozent
Unterschiede
Polen und die
Baltischen Republiken haben ihr Budget für Verteidigung inzwischen auf 3,5 Prozent erhöht. Italien oder Spanien liegen bei 1,5 Prozent. Österreich peilt laut Plan der neuen Regierung zwei Prozent an
800Milliarden
sollen die EU-Staaten in den kommenden vier Jahren für Verteidigung ausgeben. Das ist zumindest der vorläufige Plan der EU-Kommission, die dafür die Schuldengrenzen lockert
„Luxusprodukte“
Gemeinsame Beschaffung von dann endlich gemeinsamer Ausrüstung: Nur so könnten Europas Streitkräfte wirklich verteidigungsfähig werden. Europas Waffenhersteller aber würden oft zu teure Produkte in zu kleinen Stückzahlen anbieten, kritisiert Riho Terras, langjähriger Kommandant der Streitkräfte Estlands und heute im Verteidigungsausschuss des EU-Parlaments: „Wir brauchen langfristig europäische Rüstung, derzeit aber produzieren die Hersteller Luxusprodukte. Sie müssen auf Mittelklasse umstellen.“
Der erfahrene Militär weiß, dass solche Umstellungen nicht von heute auf morgen gehen. Derzeit aber, nach drei Jahren Krieg, seien die Lager der europäischen Armen leer - und die Ukraine brauche dringend Waffen: „Kurzfristig werden wir alles kaufen müssen, was auf dem Weltmarkt zu kriegen ist, um es in die Ukraine zu schicken.“ Danach aber müssten die Europäer ihre Rüstungsgüter „klüger beschaffen.“ Es könne nicht sein, dass jede Armee noch immer eigene Standards für Waffen pflege.
Kritik an der Neutralität
Doch Terras spricht auch einen Konflikt an, der derzeit noch hinter den Kulissen der europäischen Bühne ausgetragen wird: Die immer größeren Unterschiede bei den Ausgaben für Verteidigung zwischen den EU-Staaten. Während Estland, die anderen baltischen Staaten, oder Polen die angepeilten 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben, hinken viele Staaten im Westen Europas, etwa Italien‚ oder Spanien hinterher. „Solidarität in Europa muss sich aber auch in den Verteidigungsausgaben widerspiegeln“, kritisiert der Este: „Italien bringt sich zwar als Vermittler mit Washington ins Spiel, tut aber nicht genug, um die Ukraine zu unterstützen.“ Ähnlich kritisch sieht er die Haltung Österreichs, das sich hinter seiner Neutralität verstecke: „In der heutigen Situation ist es für ein EU-Mitgliedsland nicht möglich neutral zu sein. Das ist moralisch nicht vertretbar.“
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