Nahost: Bewährungsprobe für die Waffenruhe in Gaza

Searches for deceased hostages amid ceasefire between Israel and Hamas, in Khan Younis
Nach palästinensischen Angriffen schlug die israelische Armee im Gazastreifen zurück. Die rechtsextremen Koalitionspartner Netanjahus rufen zu einer Fortsetzung des Krieges auf, JD Vance wird in Israel erwartet.

Die Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas war bereits brüchig – am Sonntag zeigte sich, wie brüchig. In der Nacht meldete die israelische Armee Angriffe auf eigene Truppen im Süden des Gazastreifens: Man sei mit Panzerabwehrraketen beschossen worden – die Terroristen hätten einen Tunnel in Rafah für den Angriff benutzt. Kurz darauf startete die Luftwaffe Gegenangriffe auf rund 20 Ziele im Küstenstreifen.

Aus Deir al-Balah heißt es, vier Palästinenser seien bei einem Luftschlag getötet, fünf weitere verletzt worden. Ein ranghoher israelischer Offizier sprach von einem „schweren Verstoß“ der Hamas; die Kassam-Brigaden wiederum bekräftigten, man halte sich „vollständig“ an die Vereinbarungen – und verwiesen auf die Waffenruhe, die „in allen Gebieten“ gelten solle. „Wir haben keinerlei Verbindung zu den Ereignissen in diesen Gebieten und können mit keinem unserer Kämpfer dort kommunizieren, falls überhaupt noch jemand von ihnen am Leben ist“, erklärte der militärische Arm der Terrororganisation.

Die „gelbe Linie“

Die „gelbe Linie“ – jener Rückzugsrand, hinter den sich Israels Streitkräfte der IDF im Zuge der Vereinbarung zurückzogen – wurde in den vergangenen Tagen öfters zum Zankapfel. Laut israelischem Militär ereigneten sich die Angriffe östlich dieser Linie, also in einem Bereich, den Israel kontrolliert. Wenn das zutrifft, ist die Logik der Waffenruhe verletzt: Rückzug gegen Ruhe.

Wenn es nicht zutrifft, bleibt ein anderes Dilemma: Wie überprüft man in einem verwüsteten Territorium, wer worauf geschossen hat?

Innenpolitisch eskaliert der Ton schneller, als sich die Lage klären lässt. Polizeiminister Itamar Ben-Gvir forderte Premier Benjamin Netanjahu auf, „die Kampfhandlungen vollständig und mit voller Stärke“ wiederaufzunehmen; Finanzminister Bezalel Smotrich schrieb nur: „Krieg!“

Beide hatten die Vereinbarung von Beginn an abgelehnt. Es ist der Konflikt im Konflikt: Eine Regierung, die eine Waffenruhe mitträgt, und Koalitionspartner, die politisches Kapital aus ihrer Ablehnung schlagen.

Für Netanjahu ist jeder Zwischenfall doppelt gefährlich – militärisch im Süden, politisch in Jerusalem.

Zwei Leichen übergeben

Gleichzeitig läuft der heikelste Teil des Deals weiter: Der Umgang mit den Geiseln.

Am Samstagabend übergab die Hamas die Leichen zweier weiterer Entführter – des israelischen Fotografen Ronen Engel aus dem Kibbuz Nir Oz und eines thailändischen Landarbeiters.

Engels Frau und zwei seiner Kinder waren während einer früheren Feuerpause freigekommen; er selbst wurde am 7. Oktober 2023 getötet, seine Leiche in den Gazastreifen verschleppt.

Noch 16 getötete Geiseln befinden sich nach israelischen Angaben in Gaza. Jerusalem wirft der Hamas Verzögerungstaktik vor; diese verweist auf die Realität der Ruinen: Leichen unter Schutt, Tunnel, Einstürze.

Am Sonntag überstellte indes Israel die Leichen weiterer 15 Palästinenser in den Gazastreifen. Damit ist die Gesamtzahl der zurückgebrachten Toten auf 150 gestiegen. Die Waffenruhe gilt – formell – seit dem 10. Oktober. Sie ist Teil eines von US-Präsident Donald Trump vorangetriebenen Plans, der drei Elemente kombiniert: schrittweiser Austausch von Geiseln und Gefangenen, teilweiser Rückzug der IDF und eine geführte Beruhigung der Front.

Besuch von JD Vance

In den kommenden Tagen werden US-Vizepräsident JD Vance und die Unterhändler Steve Witkoff sowie Jared Kushner in Israel erwartet – Signale, dass Washington das Risiko einer erneuten Eskalation als hoch einschätzt.

Unterdessen wird weiterhin daran gearbeitet, dass arabische Staaten wie Ägypten, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate sowie die Türkei Truppen stellen und den Gazastreifen verwalten. Wie allerdings eine Entwaffnung der Hamas gelingen könnte, ist nach wie vor unklar. Direkt nach dem Waffenstillstand ging die Hamas gegen unliebsame Clans und Milizen vor – und richtete Gefangene öffentlich hin.

US-Präsident Donald Trump hatte vergangene Woche bereits öffentlich klargemacht: „Wenn die Hamas weiterhin Menschen in Gaza ermordet, werden wir keine andere Wahl haben, als sie zu töten.“

Kommentare