Israels Plan für Gaza: Was Netanjahu wirklich vorhat

PALESTINIAN-ISRAEL-CONFLICT
Das Vorhaben Israels, den Gazastreifen ganz zu besetzen, ihn aber später an eine „alternative Zivilregierung“ zu übergeben, lässt noch viele Fragen offen. Der KURIER versucht, sie zu beantworten.

Das Militär wehrte sich lange, die Opposition schäumt, doch Israels Regierung setzte sich durch: Nach einer zehnstündigen Kabinettsitzung mitsamt Schreiduellen verkündete Premier Netanjahu, dass der Gaza-Krieg ausgeweitet wird – Gaza-Stadt solle eingenommen werden, sagt er, seine rechten Minister sprechen sogar von mehr.

Was steckt da dahinter? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie sieht Netanjahus Plan aus? 

Er ist bewusst unklar formuliert. Sein Ziel soll aber die Entmachtung und die Entwaffnung der islamistischen Hamas sein: „Bis die Bedrohung Israels aus dem Gazastreifen beendet ist.“ Er beinhaltet nur eine ungenaue zeitliche Beschränkung der israelischen Präsenz in Gaza wie auch die ungehinderte humanitäre Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung. Netanjahu selbst hält sich mit Erläuterungen zurück. Einige seiner extremistischen Minister hingegen sprechen offen von der Möglichkeit einer langfristig angelegten Militärverwaltung. Sogar von neuem Siedlungsbau Israels in Gaza. Militärisch geht es darum, Hamas vom Zugriff auf den humanitären Nachschub abzuhalten. Um so die Abhängigkeit der Palästinenser von der Hamas und weitere Unterdrückung zu verhindern. Die Armee erhofft sich durch den wachsenden militärischen Druck auf die Hamas wachsende Kompromissbereitschaft der Islamisten.

Kann eine komplette Einnahme Gazas überhaupt funktionieren? 

Zwischen 1967 und 1994 stand der Gazastreifen bereits unter israelischer Militärverwaltung. Die erneute militärische Eroberung wäre möglich. Doch Israels Armeechef warnte die Regierung ausdrücklich vor den horrenden Kosten – an Menschenleben und Geldern. Das Kabinett schlug die Warnung in den Wind. Der radikale Finanzminister Bezalel Smotrich stimmte gegen den Plan, weil er humanitäre Hilfe beinhaltet. Doch der Siedlungsbau-Lobbyist verbleibt in der Koalition. Könne der Plan doch „auch noch viel Gutes mit sich bringen“.

Netanjahu sprach von einer „alternativen Zivilregierung“ – ohne Hamas und ohne PLO. Wer kann das sein? 

Netanjahu hofft auf ein internationales Konstrukt. Mit westlichen Staaten, vor allem aber arabischen Bündnispartnern Israels. Die wiederum wollen sich ohne Beteiligung der PLO, also der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) aus dem Westjordanland, nicht verpflichten, Ruhe und Ordnung im Gazastreifen aufrechtzuerhalten. Wobei alle, auch die PA, eine vorherige Entwaffnung der Hamas voraussetzen. Die zeichnet sich aber bislang nicht ab. Hamas zeigte sich bislang nur zur politischen Entmachtung bereit. Nicht zum Verlassen ihrer Tunnel und zum Verzicht auf ihre Waffen: PA-Verwaltung oberirdisch, Hamas-Herrschaft unterirdisch. Was immer Israel militärisch erreicht – es fehlt die politische Umsetzung.

Wie lange soll die Besatzung dauern? 

Zum symbolischen Datum am 7. Oktober setzt Israels Armee das Ende der geplanten Evakuierung von Gaza-Stadt an. Eine Million Menschen leben hier. Erst nach deren Räumung können die in Gaza verbleibenden Hamas-Bewaffneten angegriffen werden. Nicht alle Zivilisten werden die Stadt verlassen wollen. Oder können. Die Hamas wird die Evakuierung auch durch Schüsse behindern. Todesopfer sind zu erwarten, die von der Hamas-Propaganda wieder zur Anheizung weltweiter Proteste gegen Israel genutzt werden kann. Israelische Regierungssprecher sprachen letzte Woche von fünf Monaten für die neuen Offensiven. Militärexperten setzen für eine von der Regierung angeordnete „vollständige Entwaffnung“ der Hamas fünf Jahre an. Mindestens.

Wie sieht Israels Bevölkerung den Plan? 

„Entwaffnung und Entmachtung“ der Hamas wird in Umfragen von einer großen Mehrheit befürwortet. Noch größer aber ist die Mehrheit für die Forderung: „Die Befreiung der Geiseln geht vor.“ Die Familienangehörigen der Geiseln erinnern bei jeder Gelegenheit daran, dass die neuen Offensiven bewusst den Tod der Geiseln riskieren. Was die Armeeführung bestätigt, aber auch einige Minister. Sie befürworten offen den Grundsatz „Sieg ist wichtiger als das Leben der Geiseln“. Doch nach fast zwei Jahren Krieg wird die öffentliche Unterstützung der Geiseln immer mehr zur Routine. Der Umfrage-Experte Netanjahu setzt darauf, durch eventuelle militärische Erfolge die Meinung herumzureißen. Kann sein, kann aber auch nicht.

Welche Reaktion ist von den USA zu erwarten? 

Trump zeigte sich bislang demonstrativ mit Netanjahu abgestimmt. Allerdings sieht er die Eroberung des gesamten Gazastreifens letztlich als Druckmittel auf die Hamas in neuen Verhandlungen. Nicht als Grundstein zu neuen Siedlungen. Darum auch die Garantien für die humanitäre Hilfe. „Der Hunger im Gazastreifen ist kein Fake“, betonte er telefonisch im Gespräch mit Netanjahu. Doch je nach Lage – am derzeit verwaisten Verhandlungstisch wie an der Front – kann sich Trumps Meinung sprunghaft ändern. Wie gewohnt. Vor allem, wenn das regionale Verteidigungsbündnis der USA am Golf durch die Gaza-Offensive gefährdet sein sollte. Zeigt Hamas so etwas wie Kompromissbereitschaft, wird diese in Washington auch von Netanjahu erwartet. Vorzugsweise mit einem „Gesamtpaket“: Alle Geiseln kommen gemeinsam frei und der Krieg in Gaza endet.

Was sagen die arabischen Staaten dazu? 

Die Unterzeichner des Abraham-Abkommens und andere westlich orientierte arabische Staaten haben sich bislang mit Israels Gaza-Politik geduldig gezeigt. Im Krieg gegen den Iran funktionierte dieses Verteidigungsabkommen mit Israel. Doch unterscheidet sich die Politik der Regierungen deutlich von der öffentlichen Meinung in diesen Ländern. Die steht an der Seite der Palästinenser. Bis hin zur offenen Parteinahme mit den islamistischen Terroristen. Was in Nachbarländern Israels mit einem hohen palästinensischen Bevölkerungsanteil zu Protesten und Unruhen führen kann. Vor allem in Jordanien. Was nicht nur Donald Trump Sorge bereiten sollte. Auch Netanjahu sollte daran denken, dass der Krieg gegen das iranische Mullah-Regime noch weitergehen kann.

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