Freiheitsikone greift nach der Macht

Die Verfassung der Machthaber verbietet ihr, selbst zu kandidieren: Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi ("die Lady") will dennoch regieren.
Aung San Suu Kyi kann nicht gewählt werden, will aber die Führung Myanmars übernehmen.

"Ich nehme es mit jedem auf, ich habe keine Angst, so lange ihr hinter mir steht", rief Aung San Suu Kyi Zehntausenden Anhängern in der Hafenstadt Rangun zu. Die Friedensnobelpreisträgerin, die während der Militärdiktatur (1962 bis 2011) in Myanmar fast 15 Jahre lang im Hausarrest war, steht kurz vor ihrem Ziel: die Führung des Landes nach den Wahlen an diesem Sonntag zu übernehmen.

Wahlsieg erwartet

Umfragen gibt es in dem armen ostasiatischen Land nicht. Aber stimmt die Einschätzung politischer Beobachter – und bleibt der von Suu Kyi befürchtete Wahlbetrug aus –, dann stehen die 70-jährige Oppositionsführerin und ihre Nationalliga für Demokratie (NLD) vor einem überragenden Wahlsieg. Ihr Anspruch ist hoch: "Wir wollen 100 Prozent (der Sitze), unser Ziel sind nicht 80 oder 90 Prozent."

In Myanmar (bis 1989 Burma) gilt das Mehrheitswahlrecht, wonach ein Wahlkreis an den Kandidaten geht, der die meisten Stimmen bekommt. Allerdings sind dem Militär laut Verfassung ein Viertel der Parlamentssitze vorbehalten. Deshalb muss eine Partei mindestens zwei Drittel der zur Wahl stehenden Sitze gewinnen, um eine einfache Mehrheit im Parlament zu haben. Verfassungsänderungen gegen den Willen des Militärs sind damit ausgeschlossen.

Damit ist auch klar, dass es eine regulär vom Parlament gewählte Präsidentin Suu Kyi nicht geben wird. Denn die Verfassung schließt sie für dieses Amt, das die Regierung führt, aus, weil ihre beiden Söhne britische Staatsbürger sind. Doch Suu Kyi lässt auch das kalt: "Wir haben einen Kandidaten für das Präsidentenamt. Ich werde über dem Präsidenten stehen", sagte die zierliche Tochter des Gründers des unabhängigen Burma, General Aung San, kämpferisch.

Der Konter der militärnahen Regierungspartei USDP ließ nicht lang auf sich warten: "Völlig unmöglich, dass sie die Regierung führt. Sie sollte der Verfassung Respekt zollen", sagte der USDP-Vorsitzender Htay Oo der dpa. "Träumt sie etwa von einer Marionette als Präsident?" Außerdem sei ein überragender Sieg, wie ihn Suu Kyi erwarte, unmöglich.

Hausarrest

Bei den ersten freie Parlamentswahlen in Myanmar 1990 gewann die NLD von Suu Kyi, die damals in Hausarrest saß, 80 Prozent der Sitze. Das Militär ignorierte die Wahl aber und richtete erst 2010 wieder Wahlen aus, die gemessen an üblichen Standards aber weder frei noch fair waren und von der NLD boykottiert wurden. Die USDP bekam 76 Prozent der Sitze und wählte den früheren General Thein Sein zum Staatspräsidenten.

Egal, wer die Regierungsgeschäfte führen wird, die Herausforderungen sind groß. Myanmar ist trotz seiner reichen Bodenschätze nicht nur eines der ärmsten, sondern auch eines der korruptesten Länder der Welt. Das Billiglohnland lockt zwar Investoren, aber es fehlt an Rechtssicherheit.

Im Land leben mehr als 130 Volksgruppen, fast zwei Dutzend davon führten jahrzehntelang Krieg gegen das Militär. Ein paar Tage vor den Wahlen konnte die Regierung mit acht Gruppen einen Waffenstillstand schließen. Die schlechtesten Karten haben die Rohingya-Muslime: Sie gehören zu den meist verfolgten Minderheiten der Welt, die Regierung verweigert ihnen die Staatsangehörigkeit, und die buddhistische Mehrheit steht dahinter.

Das weiß auch Suu Kyi – und die von vielen als Ikone der Freiheit und Demokratie Verehrte schwieg daher selbst nach den schweren Unruhen 2012 mit Dutzenden Toten. Damals wurden 140.000 Rohingya aus ihren Dörfern vertrieben und in Internierungslager gesteckt.

"Man darf die Lage nicht übertreiben", sagte Suu Kyi. "Wenn die NLD gewinnt, verspreche ich, dass die Menschenrechte von jedem, der in diesem Land lebt, respektiert werden."

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